23.03.2020, 10:09 PM
Sôlerbens Licht
Sôlerbens Licht ist der wohl größte Hoffnungsschimmer in dieser Welt. Seine ewig scheinende Sonne erhellt das Leben jedes Bewohners von Athalon, es spendet uns die lebensgebende Wärme und behütet jeden Tag unseres Lebens. Dieses Licht ist in großer Gefahr. Dabei schützen wir Sôlaner doch Sôlerben und sein Licht. Und damit verteidigen wir die Welt und all seine Bewohner. Aber wir haben versagt oder vielmehr .. wir haben es nicht geschafft alle Gefahren an der rechten Stelle abzuwehren. Das größtmögliche Unglück, das den Sôlaner Orden je befallen konnte, hat uns ereilt. Es ist ein nicht auszusprechender Schrecken. Eine Tragödie unbekannten Ausmaßes. Die Welt liegt in Trümmern. Und ich darf es niemandem sagen. Ich darf es weder aussprechen noch hier niederschreiben. Ich zittere sogar noch beim Schreiben dieser Worte. Falls dieses Buch jemals gefunden werden sollte und der Finder sich als deyngläubiger Mensch betrachtet, so bitte ich dieses Werk nach Zandig, direkt in das Herzen des Sôlaner Ordens zu senden. Sodann bitte ich eine Abschrift anfertigen zu lassen und diese an den Sôlaner Orden auf Neu Corethon zu senden. Mein geliebter Orden, Raphael, Jule, Friedrich, Karl, Anna, Leibecht, Habinger und natürlich auch Rhys. Sie verdienen es die Wahrheit zu erfahren. Und ohnehin kennen sie die wichtigsten Teile hieraus bereits. So möge Sôlerben mich leiten und mein Schwert entgegen des Chaos der Dunkelheit führen. Mikael möge mein Schild stärken und mich vor den Gefahren dieser Welt bewahren. Katharina möge mir einen sicheren Heimathafen und Rast auf meiner Reise gewähren. Deyns Antlitz ist einmal mehr bedroht und muss einmal mehr geschützt werden. Darunter findet sich eine Zeichnung von Amélie, angeheftet an die zweite Seite des Tagebuchs.
Wenn ihr auch eine derart gute Zeichnung eures Charakters erstellen lassen wollt, kann ich euch nur die gute sonarix ans Herz legen. Eine sehr freundliche und begabte Zeichnern. Ihre fiverr-Page findet ihr hier: https://www.fiverr.com/sonarix?source=gi...d80c310439 Amélies Charaktergeschichte
Kleines Vorwort: Diese Geschichte entstand Mitte 2017, bevor ich mit Amélie wieder ins Rollenspiel auf Neu Corethon eingestiegen bin. Aus heutiger Sicht finde ich manche Formulierungen echt schräg... Dennoch habe ich nur einige kleine inhaltliche Korrekturen vorgenommen, den Rest habe ich so belassen, wie er ursprünglich verfasst wurde.
Viznia, ein kleines Dorf im Herzen des seinerzeit unter Kontrolle des Sorridianischen Kaiserreichs stehenden Königreichs Patrien, auf halber Strecke zwischen den Königreichen Navor und Ninno. Heute liegt das Dorf im Zentrum des unabhängigen Patriens. Seit Begründung des Dorfes vor ewigen Zeiten lebt es davon die vorbeifahrenden Händler zu verpflegen, ihre Pferde ruhen zu lassen und allen ein Dach über dem Kopf zu stellen. Außer drei Gasthäusern, einer großen Stallung, der Kirche und dem Schmied, gibt es im Umkreis nur einige Landgüter, die sich um die Bewirtschaftung des Ackerlandes kümmern. In dieser Gegend, in der nie viel passiert und niemals viel passieren wird, beginnt die Geschichte der Amélie da Broussard. An einem äußerst kühlen Abend, als die letzten Becher gegeneinander geschwenkt worden sind und auch der letzte Biss vom Teller genommen wurde, war die Sonne bereits seit mehreren Stunden vom Himmel verschwunden. An die Stelle dieser brennenden und lodernden Quelle von Wärme und Schutz, trat der fast schon glänzend leuchtende Mond. Die einsame Magd war gerade dabei die Teller von der Wirtsstube in die Küche am anderen Ende des Saales zu räumen, als die massive Holztür aufging. Beinahe erschreckt blickte sie, ein wenig empört, zur Tür und wollte gerade sagen, dass das Gasthaus längst geschlossen hatte. Doch da erkannte sie eine junge Frau, die offensichtlich hochschwanger war und einen strammen, jungen Burschen, der sie hielt und stütze. "Ein Zimmer benötigen wir! Und jemanden, der hilft! Das Kind kommt!" rief der junge Mann, fast ein wenig hysterisch, während seine schwangere Begleiterin sich keuchend auf einem der alten Holzhocker niederließ. Schon bald kam die Ehefrau des Gastwirtes mit einem ganzen Stapel weißer Tücher nach unten und wies die drei, einschließlich der Magd an, ihr zu folgen. Mit Müh und Not halfen beide der Schwangeren die Treppe hinauf und in das nächst bessere, leere Zimmer. Im wabernden Schein der Fackel wurde schnell deutlich, dass der Raum nicht aus mehr als einem Bett und einer schäbigen Holztruhe bestand. Die junge Dame konnte ohnehin kaum mehr wahrnehmen, als das, was sie vor sich sah. Schnell wurde sie auf das Bett gelegt, die Hausdame gab einige wenige, aber sehr präzise Anweisungen und die anderen beide Personen im Hause spurten. Das Kind kam. Fast schon routiniert führte die Dame alle notwendigen Handgriffen aus und zog das Kind aus dem Leib. Anschließend schlug sie ihm dann gegen den Rücken und legte es zur Mutter. Die blutigen Laken nahm sie mit hinaus, sie würden gleich am nächsten Morgen gewaschen werden. Die Unterkunft für diese Nacht gab sie den frischen Eltern frei, sie würden nichts bezahlen müssen. Dies war das Geschenk für einen neuen, gläubigen Bürger auf dieser einzigartigen, wunderbaren Welt. Die Mutter flüsterte dem Kind nur ein Wort in dieser kühlen Nacht ins Ohr – "Amélie". Als die Dame des Hauses am nächsten Morgen in das Zimmer gehen und die frische Mutter und ihr Kind mit einem Frühstück überraschen wollte, fand Sie nur ein leeres Zimmer vor. Die Mutter, der Vater und ihr neues Kind waren bereits in den frühesten Morgenstunden aufgebrochen und hatte nur eine kurze Notiz, auf ein kleines Stück Pergament gekritzelt: "
Der Karren, auf dem die nunmehr drei unterwegs waren, war beladen mit Ähren voll Korn, die in die nächste Stadt zur Wassermühle transportiert werden sollten. Die gewordenen Eltern konnten sich keine Unterkunft leisten, daher reisten sie immer zu zweit über die Straßen und flohen vor Angst der Kosten aus dem Zimmer. Woher hätten sie auch die Güte der Besitzerin erahnen können? Sie genossen ihr Vagabundenleben sogar so gut es ging und so weit ihre Einnahmen dies eben zuließen. Doch nachdem sie feststellten, dass sie schwanger waren, änderte sich einiges. Sie machten sich Sorgen. Sorgen darüber, ob man so ein Kind aufziehen könnte. Ob das Kind sich nicht Krankheiten einfangen würde. Ob das Kind eine ausreichende Bildung erhalten würde. Sie stellten viele Überlegungen an, wie sie ihrer Tochter ein bestmögliches Leben in ihrer miserablen Situation bieten könnten. Einen Ausweg fanden sich zunächst aber nicht und so nahmen sie das Kind einige Wochen auf ihrem Eselskarren mit. Doch merkten sie schnell, dass das Kind viel Aufmerksamkeit, viel Liebe und viel Geld benötigte. Alles drei konnten sie während ihrer Reisen nicht bieten, so sehr sie es auch wollten und sich gewünscht hätten.Danke für das Zimmer und die Hilfe. Wir stehen in Eurer Schuld. Wir haben Sie "Amélie" genannt. " Die Tage verbrachte das Kind auf dem Arm der Mutter, die es sich auf der hinteren Ladefläche in einigen Decken bequem gemacht hatte, während der Vater den Wagen durch die Gegend lenkte. Das Kind wurde so gut, wie es die Situation eben zuließ, umsorgt. Hin und wieder schrie es äußerst laut, doch kümmerten sich die besorgten Eltern auch mit ihren letzten Münzen dafür, dass wenigstens das Kind satt wurde. Sie selbst verbrachten so einige Tage hungernd. In der Nacht verwandelte sich der hintere Teil des Karrens in die Schlaffläche der Familie, der Esel durfte währenddessen um den Wagen herum grasen. So vergingen einige Wochen, wenn nicht gar wenige Monate. Die Zeitrechnung beherrschten beide Eltern sowieso nicht, sie richteten sich nur nach der Höhe der Sonne. Als sie auf einem dünnen Feldweg unterwegs in ein Dorf waren, um wenigstens ein wenig Nahrung auf dem langen Weg einzukaufen, kam ihnen ein Priester der heiligen sorridianischen Kirche entgegen. Ohne es mit seiner Gattin abzusprechen, hielt der Vater auf der Pritsche den Esel an und sprach den Geistlichen, ohne zu zögern, an. "Verzeiht, dass ich eure störe. Aber ... unsere Tochter. Wir wissen nicht ... Wir können sie nicht ernähren. Wir wissen nicht, was wir tun sollen.. Wir sind ... es geht nicht." Seine Frau schaute ihn fast entsetzt an, einige Tränen liefen ihr in die Augen und vielen auf den Holzboden des Wagens. Doch der Geistliche schaute nur den Mann an, nickte einmal auf und hob die Hand aus der Seitentasche seiner Kutte und deutet über ein Feld. "In diese Richtung. Zwanzig Meilen. Sie nehmen die Kleine." Dann setzte er seinen Weg fort. Es war erstaunlich, wie einfach seine Worte dem Priester fielen, aber es schien bei weitem nicht das erste Mal gewesen zu sein, dass er solch einen Rat an eine junge Familie gegeben hatte. Vielleicht sah er es auch als deutlich sinnvoller an, nicht weiter auf die Eltern einzureden, sondern diese den Weg ihres Kindes bestimmen zu lassen. Mit seinen kurzen, aber kräftigen Worten, ergab sich zumindest ein neuer Weg. Ein Ausweg aus der Problematik, die sich mit dem Kind ergeben hatte. Wohlmöglich wäre es für Eltern und Kind die beste Entscheidung. Die beiden Eltern haderten schon eine ganze Weile damit, ob es nicht das Beste für das Kind sein würde, es in eine andere Obhut zu geben. Sie waren dem ganzen nicht gewachsen. Wussten nicht, wie es weitergehen sollten. Sie war unsicher, ob es das war, was sie wollte. Doch der Vater des Kindes war sich seiner Entscheidung mittlerweile fest bewusst, er wollte das Kind abgeben, gar loswerden. Also lenkte er seinen Esel über die offenen Felder und Wiesen, bis er schließlich zwanzig Meilen in die gewiesene Richtung gerollt war. Angekommen war er an einem steinernen Gemäuer, einem Nonnenkloster der Kirche. Mit einem kurzen Satz sprang er vom Wagen ab und bevor seine Frau auch nur irgendein Wort des Protestes, des Zweifels, loslassen konnte, hämmerte er sogleich gegen die große Tür aus Holz. Die Tür wurde einen Spalt weit geöffnet, bis die Augen einer alten Nonne herausblickten. Diese besah den jungen Herrn zuerst von oben bis unten, bis sie ihm schließlich in die Augen schaute. Er haderte eine Weile, bevor er tief Luft holte und anschließend der Dame die Situation der drei Reisenden beibrachte, bis er zu seinem Anliegen kam. Er fragte die Dame direkt, ob sie das Kind aufnehmen würden. Sie nickte und verlangte zwei Dinge von der jungen Familie. Einmal musste ihr der Name des Kindes mitgeteilt werden: "Amélie da Broussard". Zweitens – die Familie musste sich absolut sicher sein, dass sie das Kind in die Obhut des Herrn geben wollten. Diese Entscheidung war unwiderruflich. Schließlich übergaben sie die Kleine damit einem Bettelorden, sie würde ihr Leben wohl von dort an als Nonne im Kloster fristen. Kein anderes Leben kennenlernen, als eines in dem sie dem Herrn dieser Welt, Deyn Cador, selbst dienen würde. Er fragte seine werte Gattin nicht. Er entschied. Er wollte seine Ehe nicht auf das Spiel setzen, die Gesundheit und das Leben aller Drei gefährden. Die Mutter des Kindes wischte sich mit dem Ärmel einige Tränen aus den Augen, nickte aber dann doch. Sie hatten lange und oft darüber geredet. Während der Fahrten durch Berg und Tal, an Seen und Flüssen vorbei, hatten sie viel Zeit zum Reden, weshalb sich die beiden selbstverständlich auch sehr gut kannten. Natürlich wusste der andere, wie der Partner über die Situation denkt, sie konnten sich auch ohne Worte verständigen. Und doch wogen sie massiv ab, stritten teilweise täglich, was die beste Option aus dieser Misére war. Bis heute wissen sie natürlich nicht, ob sie die beste Möglichkeit gewählt haben, sie waren sich mit ihrer Entscheidung aber sicher, dass sie das Schlimmste mehr als verhindert haben. Vielleicht hatten sie dem Kind auch eine neue Chance eröffnet. Beide konnten die Tränen über ihre kleine, so lebhafte Tochter nicht zurückhalten, als sie mit ihrem Wagen wieder den holprigen Weg, weit weg vom Kloster, fuhren. Jeder Meter, jeder Schritt, die sie weiter von ihrer Amélie weggezogen wurden, tat weh. Doch waren sie, möglicherweise nicht sichtbar und nur tief in ihrem Innersten, auch glücklich darüber, dass sie ihrer Tochter wenigstens eine kleine Zukunft bieten konnten. Eine Zukunft fernab ihrer verarmten Eltern, die sich kaum eine Nacht im Stall leisten konnten. Die Lebensjahre 1 – 5
Ein Kind passt sich der Umgebung an, in der es lebt. Es adaptiert, es macht nach und tut das, was ihm gesagt wird. Das Kloster, in dem sie untergebracht wurde, widmete sich keinem besonderen Heiligen, wie es in der Sorridianischen Kirche üblich ist. An jedem Tag wurden mindestens am Morgen und am Abend eine halbe Stunde zu Deyn Cador gebetet. Die restliche Zeit wurde mit Feldarbeit und Erziehung der Kinder verbracht. Neben Amélie gab es rund zwanzig weitere Kinder. Knaben und Mädchen, die von den Nonnen eng an den Glauben Deyn Cadors herangeführt wurden. Auch sie mussten bereits häufig beten und die Grundlagen der sorridianischen Kirche verinnerlichen und auswendig lernen. Darüber hinaus mussten sie bei der Feldarbeit mithelfen und einfache Aufgaben durchführen, sofern sie denn alt genug dafür waren. Als Amélie ins Kloster kam, kümmerten sich zuerst drei Nonnen im Speziellen um die Kleinkinder und Frischgeborenen, denen man hier eine bessere Zukunft als bei ihren unfähigen Eltern bieten wollte. Um eine Distanz zu wahren und die Kinder an Deyn als ihren obersten Herrn heranzuführen, kontrollierten sich die Klosterdamen gegenseitig und passten eisern darauf auf, dass keine zu enge Bindung zwischen ihnen und einem Kind hergestellt werden würde. Die Kinder waren oft unter sich, in einem eigenen Raum, wurden aber zu jeder Messe und zu jedem Gebet dazugeholt. Und auch, wenn sie zunächst nicht verstanden, was dort vor sich ging, wurde hier schon damit angefangen, ihnen die wichtige Doktrin mitzuteilen. Tage und Wochen, gar Monate vergingen. Die Kinder wurden älter, die Nonnen kümmerten sich immer noch, hart aber liebevoll, um die Kinder. Doch während andere Kinder ihre ersten Worte plapperten, fiel bei Amélie schnell auf – sie spricht nicht viel. Doch was sie an Worten missen würde, tat sie an Taten wieder gut. Als sie gerade gelernt hatte zu laufen und die Gesichter der Damen wiederzuerkennen, fing sie an kleine Sachen durch das Gebäude zu tragen und sich nützlich zu machen. Dabei lief sie zwar öfter gegen die Beine einer anderen Schwester oder ein Stuhlbein, aber die Klosterdamen waren von ihrem Einsatz und ihren Engagement begeistert und lächelten stets, wenn der kleine Zwerg um die Ecke geflitzt kam. Als sie lernte Sachen zu schleudern und teilweise sogar gezielt zu werfen, schlug sie den ein oder anderen älteren Knaben im Kloster im Kieselsteinwerfen, um die Tauben vom Dach des Klosters zu verscheuchen. Irgendwann trug sie sogar kleine Eimer mit Wasser, die sie mit beiden Händen vor ihrem kleinen Körper schleppte. Anfangs stolperte sie noch und sorgte für eine unfreiwillige Bodenreinigung, später durfte sie freudestrahlend das Wasser in die einzelnen Nachttöpfe verteilen. Doch sprechen wollte sie immer nur sehr selten. Langsam machten sich einzelne Schwester Sorgen, doch die Oberin bat um Gemach, da manche Kinder sich Zeit lassen würden. Die Lebensjahre 5 - 10
Sie war ein lebensfrohes und aktives Kind, dafür aber äußerst still. Die Schwesternschaft beriet eine Weile, bevor sie der Oberin einen Vorschlag machte. Warum die Kleine nicht in den Paladinorden des Heiligen Mikael zu Patrien geben? Natürlich sollte sie dort keine kämpferische Ausbildung erhalten, doch würden ihr körperlichen Fähigkeiten dort von besserem Nutzen sein, als im Nonnenkloster. Die Oberin ließ sich für ihre Entscheidung einige Tage Zeit und sah aus ihrem Fenster im Dachgeschoss des Klosters oft auf den offenen Innenhof und auf das dort entlangwuselnde Kindchen herab, bevor sie ihr Einverständnis gab. Amélie da Broussard war 5 Jahre alt, als sie in den Orden eintrat. Das Leben im Orden gestaltete sich allerdings weitgehend anders, als das, was sie bisher kannte. Sie war nicht mehr unter Nonnen und kleinen Kindern, sondern um sie herum waren allerlei Gestalten. Gelehrte, Priester, Krieger in edlen Rüstungen und das präkerste – kein einziges weiteres Mädchen. Die anderen Kinder, die im Orden waren, waren ausschließlich Jungen. Meistens waren die Burschen auch noch 4 oder 5 Jahre älter, wenn sie gerade in den Orden gegeben wurden, um von diesem ihre Ausbildung zu erhalten. Sie war allein. Sie hatte ihr eigenes Kämmerlein, in dem sie schlafen würde und eigene Aufgaben. Auch hier fing es mit dem Tragen von Gegenständen an, was in dem verwinkelten Wegen und Gemäuern keine leichte Aufgabe war. Dennoch fiel hier auf, dass sie, auch wenn sie immer nur nickte und den Kopf schüttelte, schnell den Weg fand und sich viel einprägen konnte. Doch machte einem Priester im speziellen die Sprachgewohnheiten des Kindes bedenken. Warum würde es kaum sprechen wollen? Er schlug vor, dass man das Kind mit zu einem weltlichen Arzt nehmen würde, nur um zu überschauen, ob auch alles in Ordnung sei. Der Arzt bat darum, dass man das Kind und ihn einige Stunden in Ruhe lassen würde. Zunächst versuchte er viel, um dem Kind einige Worte zu entlocken. Mit Knabbereien, dann mit Spielzeug, doch soviel er auch anbot, es gab keinen Mucks von sich. Als er den Hals des Kindes untersuchte fand er keine Aufälligkeiten, nicht mal eine Verfärbung oder Narbe. Bis die kleine Amélie ihn anschaute und es ihm direkt mitteilte: "Deyn braucht kaum Worte. Ich auch nicht. Oder hast du ihn schon Mal reden gehört?". Niemand, nicht einmal die Herren und Damen im Orden, hätten mit solch einer Antwort gerechnet. Aber was sollten sie schließlich machen? Irgendwo hatte dieses Kind doch recht. Sie selber begriff das Ausmaß dieser Entscheidung zugunsten Deyn Cadors nicht wirklich, sie war schließlich auch noch viel zu klein dafür. Doch sahen es die Herren bald als eine Art Offenbarung, vielleicht auch als Erfüllung ihrer Pflicht an. Was ihr an Willigkeit zu Sprachfertigkeiten mehr als offensichtlich fehlte, machte sie dafür an Engagement und körperlichem Einsatz wieder wett. Von dort an wurde ihr ihre Verschwiegenheit als Hingabe zu Deyn, als Enthaltsamkeit von den Lasten der Sprache, gelehrt. Ihr wurde gesagt, dass ihr ein großer Segen Deyns zu gegen wurde, sie eine einzigartige, gar gesegnete Person sei. Ein Kind kann damit erstmal nicht viel anfangen, doch waren ihr die vielen hochgestochenen Worte durch ihre kirchliche Ausbildung und den darauf ausgerichteten Lebensstil bekannt. Langsam aber sicher wurde sie integriert, wurde mit in den Schreibunterricht aufgenommen, durfte die körperlich schwierigeren Aufgaben mit übernehmen und lernte. Bald schon konnte sie Grundlagen des Schreibens. Doch blieb sie auch hier wortkarg, schrieb nie viel und kam immer direkt auf den Punkt. Den Glaubensbrüdern fiel bald auf, dass ihre ständigen Worte Wirkung zeigten – sie war die erste, die morgens von den Kindern zum Beten kam. Auch wenn niemand hören könnte, was sie während der Glaubensgelübde sprach oder dachte, was sie wirklich anbetete, merkte man ihr schnell an, dass sie das glaubte, was man ihr eindoktriniert hatte. Sie würde ihr Leben dem Herrn Deyn Cador widmen, keinen Mann ehelichen, keine Kinder kriegen. Allerdings war sie das genaue Gegenteil einer Nonne. Ein Problem stellte dies aber während ihrer ersten Zeit im Orden nicht dar. Sie lernte, wie all die Knaben um sie herum. Mit ihr wurden dieselben Übungen gemacht, wie mit den Burschen auch, sie musste dieselben täglichen und vor allem undankbaren Aufgaben erledigen. Man sollte nie ein Wort des Widerspruchs von ihr hören, aber nicht nur weil sie nicht sprechen wollte, sondern eher weil sie ihre Aufgabe im Hause des Herrn als wichtig empfand. Je länger sie im Orden blieb, desto mehr wurde sie gelehrt. Ihre ausgeprägteren Körperfähigkeiten fielen auch den Ausbildern auf, sodass sie Seite an Seite mit den Jungen des Ordens mit Holzschwertern fechten durfte. Häufig war sie dennoch diejenige, die vollkommen blutverschmiert und erschöpft als erste zu Boden ging. Und dies sollte auch noch eine ganze Weile so anhalten. Die Lebensjahre 10 - 15
Amélie war ein besonderes Kind, von Anfang an. Die Tatsache, dass sie das einzige Mädchen und dann so wortkarg war, isolierte sie häufig. Während die anderen Kinder im Hofe tobend und tollend und vor Freude lachend umherliefen, verzog sie sich in ihre Kammer. Oder ging die Gebetshalle, um dort stundenlang zu Deyn zu beten oder dabei zu helfen, die nächste Messe vorzubereiten. Es ging ihr sichtlich nahe, ihr gefiel nicht wirklich, dass sie so verschieden war. Sie verstand aber auch nicht, was sie tun musste, um genau dies zu ändern. Vielleicht wollte sie es auch nie ändern, um Deyn nicht zu enttäuschen. Doch die Brüder im Orden vermittelten ihr zu jeder Gelegenheit, was für ein Geschenk Deyns sie doch wäre. Darin schöpfte sie viel Hoffnung und fand auch immer wieder Motivation, die sie dringend brauchte, nachdem sie Mal wieder im Duell blutig niedergeschlagen und alleine in ihrer Kammer gehockt hatte. Sie wusste um ihre Besonderheit und lernte mit der Zeit auch dies hinzunehmen, dies zu akzeptieren und dann im Laufe der Jahre auch vollständig damit zu leben und sich einzig und alleine Deyn zu widmen, nicht nur, weil sie es nie anders gelernt hatte. Ablenkung verschaffte ihr neben dem Beten daher vor allem das viele Lernen. Anfangs war dies nur der Schreib- und Religionsunterricht, in dem sie auch ohne große Worte viel mitnahm. Später sollte sie sogar noch in die Sprache Tasperin eingeweiht werden und diese Schritt für Schritt erlernen, da man nie wusste, welche Aufgabe Deyn Cador für sie bereit hielt. Neben den geistigen Übungen und Ausbildungen nahmen in diesen Jahren ihres Lebens auch die körperlichen Ansprüche und Anforderungen zu. So mussten die jungen Menschen im Orden Kraftübungen durchführen, um ihre Muskeln zu stählern, gleichzeitig aber auch viel Laufen, um die Ausdauer zu verbessern. Nach und nach wurde auch der Kampf mit Waffen, der immer nur zur Verteidigung des Glaubens gelehrt wurde, intensiviert. Zuerst bekämpften sich die Kinder nur weiter mit Holzschwertern und – schilden, später kamen dann auch Lehrstunden über Haltung, Schritt und Schlag dazu. Mit der Zeit merkte man, dass Amélie verstand, was ihr gelehrt wurde und das sie dies tadellos anwenden konnten. Hin und wieder bekam sie auch Lehrstunden im Kampf mit dem Speer. Eine besondere Bindung galt allerdings ihr und den Pferden. Sie nahm freiwillig jegliche Arbeit im Stall, sei es das Ausmisten oder das Reinigen des Bodens, auf sich. Sie verbrachte viel Zeit und Nähe mit den Tieren und sorgte sich um sie, kümmerte sich, wo es nur möglich war. Und bald sollte sie für ihre Ergiebigkeit und ihren Einsatz belohnt werden. Sie bekam ihre erste Reitstunde und war überglücklich bald auch reiten zu dürfen. Zwar führte sie die Pferde meist nur aus und gab ihnen so die nötige Bewegung, aber sie war mehr als froh nicht mehr alleine sein zu müssen. Die Nähe an den Tieren und die gegebene Nähe durch den Glauben ersetze so die bei ihr fehlenden menschlichen Bindungen. Jahre vergingen, sie lernte und lernte. Sie wurde besser in dem, was sie tat und intensivierte Tag um Tag ihren Glauben. Bald schon sollte sie die Gebote, die Doktrinen, die wichtigen Aspekte es Glaubens an Deyn und seiner Feinde verinnerlicht haben. Sie lebte mehr oder minder für den Glauben. Bei den seltenen Besuchen im Dorf oder gar in einer Stadt war ihr der Gedanke an ein weltliches Leben fremd. Sie bewunderte zwar auf eine Weise das bunte Treiben an einem Marktstand, befand es aber als so viel sinnvoller Gebete zu sprechen, statt den Fischpreis zu diskutieren. Bereits hier entwickelte sie aber eine gewisse Distanz und Ablehnung gegenüber allen, die nicht den Glauben ausreichend auslebten oder ihn gar verletzen würden. Sie konnte und kann auch heute nicht verstehen, warum Menschen etwas Weltliches über Deyn Cador stellen. Sie kann nicht nachvollziehen, warum Menschen sich nicht erst ehelichen, bevor sie Liebeleien austauschen. Doch machte sich hier auch ein Aspekt ihrer Persönlichkeit bemerkbar – sie agiert nur in Ausnahmefällen aus eigenen Stücken gegen die Heresie. Sollte jemand den Glauben verpöhnen oder verspotten, so wird er ihren Zorn spüren, doch einfache Nichtbeachtung, einfaches Andersdenken, führt nur zu einer Ablehnung ihrerseits. Die Lebensjahre 15 - 20
Und so wie das Leben im gesamten Lande weiterlief, so setzte sich auch ihre Geschichte fort. Sie lernte weiter, wurde weiter trainiert in dem, was sie bereits ihr ganzes Leben machte. Sie war sich mittlerweile einig geworden, dass dieses von Deyn gegebene Leben definitiv das war, was sie führen würde. Sie würde eventuell sogar eines Tages ihr Leben geben, um den Glauben, den sie so innig liebt, verteidigen zu dürfen. Amélie ist ein besonderes Kind gewesen, seit Anfang ihrer Geburt. Dieser tiefe Glauben beeindruckte so manchen im Orden. Hinzu kam dieser bedingungslose Wille zu Lernen, um ihre Aufgabe zu erfüllen. Viele mögen diesen Menschen und seine Intentionen nicht verstehen, doch das weiß sie mittlerweile mehr als zu schätzen. Amélie da Broussard ist sich ihres Weges sicher, sie will niemals vom Pfad des Herrn abkommen. Und das bereits in einem Abschnitt, in dem sich die wenigsten entscheiden können und wollen, was sie einmal tun wollen. Doch kennt sie kein anderes Leben, als eines, das Deyn Cador gewidmet ist. Sie konnte mittlerweile viel und durfte dies auch immer öfter unter Beweis stellen. Amélie ging mit leichter Ausrüstung und einigen Glaubensbrüdern und -schwestern auf die Märkte und kaufte ein, sie durfte bei den Messen als Messdiener oder gar als Messwache Posten stehen und sogar die umliegenden Wälder patrouillieren. Zugegeben – dies war mehr eine Beschäftigungsmaßnahme der Ausbilder, aber so entwickelte sie schnell ein Gespür für die freie Natur und Wildbahn und sie konnte sich dadurch auch oft, mit nur wenigen Hinweisen, orientieren. Dazu kam, dass sie auch viel Reiten konnte. Sie gab den Pferden den nötigen Auslauf und hatte so ihre Ruhe und Freiheit. Sie dachte bei jedem Ausritt, wie sehr sie doch Deyn Cador dienen würde. Sie hielt die Ländereien, den Orden und die Gläubigen sicher, selbst wenn, wie in Patrien, es nur sehr selten Banditen oder Taugenichtse gab. Sie war zufrieden, sie steigerte sich oft in diese Vorstellung, den Willen den Glauben mit allem, was sie hat zu schützen, hinein. Amelíe ließ sich sogar, um verwundeten Bewohnern der umliegenden Dörfern, oder auch nur verletzten Kinder ein wenig helfen zu können, zeigen, wie man leichte Wunden behandelt. Sie war und wird wohl niemals ein Meister auf diesem Fachgebiet sein, aber einen Verband umwickeln oder einen Arm temporär zu stützen, das konnte sie. Sie war froh, wenn sie, seien es auch nur Kleinkinder, eine Schürfwunde verbinden konnte. Auch, wenn der Sinn zu helfen bei ihr eher durch den Glauben veranlagt war, merkten die Menschen schnell, das man ihr trauen konnte. Diese völlige Hingabe und Bindung an den Glauben, den andere vielleicht als Schwäche ansahen, war für sie mittlerweile eine Stärke. Andere Menschen konnten durch ihre Worte und Taten Katastrophen, im großen und im kleinen, auslösen. Sie konnten Beziehungen für immer zerstören, Kriege anzetteln oder Feindschaften bilden. Doch sie beruf sich auf ihren Glauben und folgte nur diesem. Menschliche Beziehungen ließ sie außen vor, ignorierte sie gar. Sie war gerade 20 Jahre alt geworden. Da stand eine große Feierlichkeit ein, nachdem sie gerade ihre Novizenprüfung mit Bravur bestanden hatte. Sie wurde feierlich in den Rang eines Novizen im Paladinorden des heiligen Mikael zu Patrien in Empfang genommen. Sie bekam ihre erste Robe, die ihren Rang widerspiegelte und war damit ein vollwertiges Mitglied. Wenn auch, oft argwöhnisch beäugt, da sie eine merkwürdige Frau war. Gleich ein paar Auffälligkeiten, die sie aus ihren Glaubensbrüdern herausstechen ließ, doch war dies kein Hindernisgrund, da sie ihren Glauben und die Ernsthaftigkeit ihres Bestrebens oft genug unter Beweis gestellt hatte. Sie hatte es geschafft – sie durfte nun auch endlich offiziell die Kirche und Deyn Cador verteidigen. Ihren ersten Posten trat sie auch kurz darauf an. Sie war als Nachrichtenbotin und Kundschafterin eingesetzt und ritt oft zwischen dem Ordenszentrum, einzelnen Kirchen und den größeren Städten in der Umgebung hin und her. Auf ihren Reisen lernte sie weiter, vor allem sich zu orientieren. Sie hatte allerdings oft ein Buch dabei und las, meist über die Religion Deyn Cadors oder große Wunderbringer, die den Glauben und die Heiligkeit gemehrt haben. Ab und an waren aber auch Märchengeschichten dabei, wobei ihr immer die besonders gut gefielen, in denen viele Tiere vorkamen. Jedes Mal, wenn sie an den Wäldern kleine Nagetiere sah, nahm sie sich einen Augenblick Zeit und beobachtete diese Unbeschwertheit der Tiere. Besonders gerne hielt sie nach Waschbären und Bibern Ausschau, diese fand sie besonders knuffig. Die Lebensjahre 20 - 25
Sie verbrachte viel Zeit auf Pferden, reiste umher und überbrachte Nachrichten oder aber auch Gepäck. Ihre Ortskenntnis und das Geschick auf dem Pferd, sorgten immer öfter für ein klein wenig Anerkennung, auch wenn sie natürlich um ihren niedrigen Stand im Orden wusste. Das hielt sie dennoch nie davon ab, all ihre Kraft in die ihr übertragenen Aufgaben zu stecken und diese mit allem nötigen Aufwand erfüllen zu wollen. Selbst, wenn sie einen ganzen Tag durch die Gegend wanderte, das Pferd streikte und sie selbst vor Müdigkeit fast aus dem Sattel fiel, wollte sie immer und immer weiter machen. Im Orden kam allerdings baldigst eine Idee auf. Warum nicht die Wortkarge mit denen mitschicken, die viele Worte verbreiten und sehr wortgewandt waren? Sie wusste sich und andere zu verteidigen, sie konnte reiten und sie beschwerte sich niemals. Dies waren ideale Voraussetzungen für eine Besetzung als Leibwache für hohe Geistliche der sorridianischen Kirche, die durch das Land und über dessen Grenzen hinaus zogen. Wahrlich haben diese, besonders außerhalb der eigenen Mauern, nicht nur Freunde. Und diese wichtigen Personen zu schützen und zu überwachen, war eine wichtige Aufgabe innerhalb der Kirche. Eine Aufgabe, die wahrlich zu Amélie passte. Und die sie von nun an inne hatte. Anfangs war sie nur ein kleiner Teil in einer großen Gruppe, ab und an durfte sie dann auch als großer Teil in einer kleinen Gruppe unterwegs sein. Sie konnte ihre Fertigkeiten und Fähigkeiten nutzen. Sei es ihre Tasperin-Kentnisse, ihr Wegfindungsvermögen oder auch – wenn es sein musste – ihre Kampffertigkeiten. Amélie wusste, dass ihre Aufgabe eine Wichtige ist, da die Missionierung und auch der Kampf für die Beibehaltung des Glaubens und seines Stellenwertes seit jeher eine hohe Position in der Kirche belegt haben. Sie sah sich auch hier als Teil davon und lebte mal wieder für ihre Aufgabe. Sie reiste fern der Heimat, erlebte viele Ortschaften, Städte, Klöster, Täler, Flüsse und Wiesen in Sorridia, kam aber auch bis ihren Reisen nach Kaledon. Auch wenn sie die Feindlichkeit, die anderen Blicke und den Argwohn der Menschen in den anderen Ländern mitkam. Sie wusste, dass sie nicht immer erwünscht war. Dennoch machte sie ihre Aufgabe. Oder gar ihre Bestimmung? Große Heldentaten konnte man während diesen Reisen weder erwarten noch selber tätigen und meistens waren die Reisen wenig ereignisreich, sondern eher wahnsinnig ermüdend und kräftezehrend, doch fand sie, dass es sich doch irgendwie immer lohnte den beschwerlichen Weg durch Wald und Tal auf sich zu nehmen. Die Lebensjahre 25 - 28
Amélie da Broussard. Mittlerweile Paladin im Orden des heiligen Mikael zu Patrien und halbwegs erfahrene Wächterin des Glaubens. Nachdem sie viele Jahre unterwegs war und die Geistlichen bewacht hat, war sie in diesem Abschnitt ihres Lebens vor allem in kleineren Städten in Patrien unterwegs. Meistens wieder alleine zu Pferd. Sie überbrachte Nachrichten oder sah einfach nur nach dem Rechten. Größere Aufgaben erhielt sie gelegentlich, doch ist auch hinreichend im Orden bekannt, dass sie für Verhandlungen allerhöchstens als Geleit dienen kann. Sie wusste auch um diese Problematik, nahm aber jede Aufgabe mit Freude an. Sie war wirklich froh, wenn sie Deyn Cador auch nur in kleinster Weise dienlich werden konnte. Sie las auch nach all den Jahren noch immer eine Menge und hatte sich bereits eine Menge Wissen über die Religionen dieser Welt, ihre Götter und Kulte angesammelt und auch sonst viele Erkenntnisse der modernen Welt angelesen. Doch teilen konnte sie diese mit niemandem. Das störte sie nicht einmal, machte es aber schwierig an noch tiefergehenderes Material zu kommen. Eines stillen Abends, an einem knisternden Feuer am Rande eines Waldes las sie ein wenig eine Niederschrift, die sie aus einer größeren Stadt mitgenommen hatte. "Die neue Welt" war die Überschrift.
"Wenn der geneigte Leser meint, dass die bekannte Welt an der Küste Al\'Bastras beginnt und im Norden von Haldaar endet, liegt der geneigte Leser massiv falsch. Und damit meine ich nicht nur die Inseln, die sich vor den vielen Küsten und Stränden verstecken und ihre eigenen, kleinen Paradieswelten eröffnen! Nein, geneigter Leser, viel größer! Viel, viel größer! Was, wenn ich dem geneigten Leser verrate, dass es noch eine andere Welt gibt. Jenseits des großen Ozeans, dieses riesigen Leändriks, der sich über alle Welten erstreckt. Monate und Tage dauert es, ein großes Schiff und die beste Mannschaft, die man auch nur kriegen kann, um diese fernen Orte überhaupt zu erreichen. Und doch, geneigter Leser, leben dort bereit Menschen. Es gibt Kolonien aller großer Nationen, die sich dort niedergelassen haben und hoffen diese fremde Welt für sich auszubeuten. Doch wie leben die Menschen dort? Das ist der eigentliche Punkt auf den ich kommen möchte, geneigter Leser. Einfach ist eine Beschreibung, die passend ist. Den Umständen entsprechend, ist wohl passender. Wenn es etwas nicht gibt, dauert es teils Jahre, bis das Gut wieder verfügbar ist. Nahrung und Vieh kann nur gehalten und angebaut werden, sobald dieser fremde Boden es hergibt. Dort, wo keine Äpfel an den Bäumen wachsen, soll eine merkwürdige Stachelfrucht namens Ananas aus dem Boden schießen. An kleinen Strünken soll sie mittig wachsen! Höchst eigenartig, aber genießbar, geneigter Leser, auch wenn ich von diesen Köstlichkeiten der fernen Welt abrate! Zur Sicherheit des geneigten Lesers! In kleinen, bescheidenen Hütten wohnen die Menschen. Keine Fensterläden, eine spartanische Ausstattung und kein Kamin im Hause, kein Zustand den Mann länger ertragen kann. Alles ist zum Nötigsten zusammergeschustert! Und das Schlimmste – diese Welten sind gefährlich! Monster hausen unter der Bettdecke, Kinder werden entführt und die Kirche häufig verunstaltet! Wahrlich schreckliche Orte an denen der geneigte Leser sich nicht aufhalten will!" Je weiter sie ließ, desto mehr ging der Autor auf die Einzelheiten ein und dramatisierte weiter grundlos über. Wie dem auch sei – Amélie hatte bereits von anderen gehört, was für ein gottloser, aber doch besiedelter Ort diese neue Welt war. Sie hatte viel von der bekannten Welt gesehen, warum also nicht auch noch die unbekannte Welt entdecken? Und darüber hinaus – Die Kirche schützen. Den Glauben verteidigen. Vielleicht könnte sie dort, fernab von jeder Zivilisation, ihre Fähigkeiten vollständig ausleben und den Zweck ihres Lebens erfüllen? Es war nicht einfach den Orden dazu bewegen, sie gehen zu lassen. Doch sah sie es als ihre von Deyn gegebene Aufgabe an. Und machte sich, schneller als man es glauben möge, auf den Weg. Ein Schiff zu finden, dass sie mitnehmen und über den riesigen Ozean fahren würde, war fast unmöglich. Doch irgendwann war sie da. An Bord eines Schiffes. Mit gerade genug Proviant für die Fahrt, ihrem Schwert und Schild und ihrer, in ein Leinentuch gebundenen Rüstung. Ansonsten hatte sie gerade noch zwei Briefe, die ihr vom Orden mitgegeben wurden, um sich zu identifizieren. Und so war sie da. Zeit für einen neuen Abschnitt. |