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Sonstiges Gerüchte in der neuen Welt

#1
Über den Dächern liegt noch der Dunst der Nacht, als sich die Sonne langsam hinter dem höchsten Gebäude der Stadt erhebt. Hier und da bellt ein Hund, hier und da zwitschern Vögel, während fröhliche Kinder durch die Gassen rennen. Die Brise vom Meer ist kühl und fegt wie die Bewohner langsam durch die Straßen und den Dunst davon. Ein kleines Theater steht an, eine kleine Truppe kam mit dem letzten Schiff vom Festland, sie erzählen die neuesten Geschichten mit einer kleinen Aufführung auf ihrem Theaterboot.
Quitschend und plappernd unterhalten sich die Kinder in ihren Spielen. Kaum eines ist älter als 5 Jahre, keins hat je die Insel verlassen, auf der sie geboren worden sind. Wie junge Hunde jagen sie einem Ball durch die Gassen hinterher und immer wilder werden ihre Geschichten.
Lange hat man sich auf die Aufführung des Theaterboots Sherazan gefreut. Es gibt nicht viele Feste und die willkommene Abwechslung durch eine öffentliche Aufführung lockt selbst die Alten aus ihren Stuben, in die feinen Kleider, sofern vorhanden.
Sie alle machen sich fertig, gehen ihrer Arbeit nach und hoffen ungeduldig auf den Nachmittag.
Auf dem Schiff geht es ebenso geschäftig zu, Bühnen werden aus dem Laderaum geholt, aufpoliert und an der Reling befestigt.
Die Sherazan ist unabhängig, oder es ist das, was sie sich gerne auf die Fahne schreiben würden, mehr ist es so, dass sie Vogelfrei sind. Für die Kirche sind sie als Theater zu uninteressant und für alle anderen zu klein, um sich dafür zu interessieren und solange sie sich grob an die Richtlinien halten, konnten sie im Grunde tun und lassen was sie wollen.
Sie werden meist von Städten und Inseln selbst angefordert und bezahlt, es ist kein Vermögen, aber es reicht für alle und die Reperaturen am Schiff. Die Sherazan ist ein sehr buntes Schiff mit bunten Segeln und einer sehr bunten Crew, aber bei genauerer Ansicht wird schnell klar das sie nur ein Haufen Bretter auf einem Schiffskelett ist, Bretter aus duzenden verschiedenen Hölzern und stärkten, alles zusammen geschustert wie ein Flickenteppich. Die Farbe täuscht einen nur darüber hinweg, dass dieses Schiff wohl nie einen echten Zimmermann an Board hatte. Dennoch ist sie prunkvoll gebaut und mit ihrer Farbe ist sie unverwechselbar.
Selbst die Piraten und Menschenhändler haben nicht selbsten an ihr angedockt, nur um die neuste Aufführung zu sehen. Alles an dem Theaterschiff war Fassade, Werder für Menschenhändler, noch für Piraten war es ein Ziel, es gab einfach keine Beute.
Die hageren Schausteller und der leere Frachtraum lohnen die Mühe kaum. Doch umgekehrt gab es viel Nutzen, die Sherazan konnte ihn nahezu jeden Hafen ohne größere Probleme einlaufen und so war es nicht selten, dass sie als Transportschiff für die Schiffe galt, die nicht in jeden Hafen gelangen konnten.
So kam es auch, dass die meiste Crew aus ehemaligen Sklaven und dergleichen bestand, freigekauft oder verramscht. Jeder auf der Sherazan war aus freien Stücken dort, das war die Bedingung und dies war auch der Grund, warum die Wachen keine Probleme mit dem Theaterschiff hatten.
Der Dunst war vergangen und vor den Schaustellern, die emsig die Bühne aufbauten, zeigte sich fast wie eine scheue Braut endlich die Stadt, in der sie heute Aufführen würden.
Vladsburg.
Ein Juwel für die Schausteller, immerhin hatten sie Freigang, sobald die Bühne aufgebaut war, um die Vorräte aufzustocken und sich alles anzuhören und zu sehen was es Neues gab. Für die meisten der Schausteller war die Stadt selbst neu, sicher man hatte davon gehört und Berichte gelesen, aber sie selbst nie gesehen. Aber der Captain liebte die Stadt und fuhr sie nur zu gerne an. Warum wusste keiner so genau, man erzählte sich schon Gerüchte und Geschichten, warum er immer am Abend das Dock anfuhr und nicht morgens, oder warum er erst zur Aufführung wieder da war. Von heimlichen Geliebten und Frauen war die Rede, vielleicht auch von Kind und Haus. Aber er schwieg sich aus.
Die Bühne war aufgebaut, auch diese Glanzleistung war nur ein Trugwerk, sie bestand aus gerissenen Brettern des Schiffs selbst und war nur in formgeklebt und gesägt, aber es reichte für die Aufführungen.
Wild rollte der Ball der Kinder weiter durch die Gassen, wenn das Theaterschiff im Ort war, so gab es keine Schule und auch viele Lehrlinge hatten frei. Sie alle hatten aber genug zu tun, die Kinder mit Spielen und sich Geschichten ausdenken und die Lehrlinge mit dem Schmücken der Häuser, wer sagte, dass man an seinem freien Tag nicht für kleines Geld aushelfen durfte?
„Darüber dürfen wir nicht reden! Hat Mama gesagt“, sprach das erste Kind. „Zippelgreifer! Zippelgreifer!“ riefen die anderen fröhlich im Chor. Pfeifer Del´Phine so war zumindest sein Künstlername war einer der Schausteller der Sherazan und saß auf den Dächern der Stadt. Er war ein sogenannter Spezialist für die Beschaffung neuer Geschichten, er vertrat die Meinung, das man die besten Geschichten bekam in dem Mann den Geschwätz der Waschweiber und Spinner lauschte und die Kinder beobachtete. Die Kinder hörten alles, sie sahen alles und bekamen alles mit. Eltern die sich ärgern, die flüstern, die sich besprachen. Wer also an gute Geschichten wollten, der musste denen zuhören, deren bestes Unterhaltungsmedium, die Unterhaltung selbst war.
Gerade gab es eine Geschichte über die Niemand sprechen wollte, und auf die Sherazan hatte vom Captain selbst die Anweisung erhalten die Geschichte nicht aufzuführen, oder darüber zu sprechen.
„Aber mein Papa hat erzählt, das es da weißen Sand gib!“, erklärte eines der Kinder. „Du Hohlrübe! Das nennt sich Snee!“, protzte ein anderes.
Pfeifer grinste vor sich hin, natürlich. Diese Kinder waren auf Südlichen Inseln geboren worden, woher sollten sie es besser wissen, alles was sie wussten war hier auf dieser Insel und dem was ihre Eltern erzählten, aber selbst diese waren teilweise so jung und Inseltreu das sie gar nicht wussten wie es Andernorts aussah.
„Gar NICHT! Das ist Saaaahaaand!“, beharrte das eine Kind. „ Der ist aber ganz nass und ganz kalt!“. Die Kindergruppe war in Owww und Aww darüber und schnatterten schnell darüber wie Sand kalt sein konnte, das war außerhalb ihres Verständnisses. Generell war ihr Verständnis von kalt sehr rudimentär, sie wussten wie sich das tiefe Wasser anfühlte oder die kühle Jahreszeit, aber keines davon hatte ein Verständnis von Schnee oder Eis.
„Und da hat es Bären!“ flüsterte eines der Kinder, als würde es von einem mythischen Monster sprechen. Ein anderes hob einen Teddy hoch. „Sehen die nicht so aus? Dann sind die doch gar nicht gruselig!“, „Nee, das is ja nur ein Teddy! Bären sind soooo groß“, anderes Kind hebt die Armen so hoch es nur kann. „Und haben ganz lange Krallen!“.
Der Lauscher musste sich ein amüsiertes Kichern verkneifen um seine Position nicht zu verraten. Natürlich, es gab keine Bären in den Tropen, alles aus der alten Heimat musste für diese Kinder wie ein Märchen wirken. Aber ausgerechnet ein Bär? Selbst in Sorridia und Tasperin waren diese Tiere fast ausgestorben und nur noch selten zu sehen. Woher hatten die Kinder eine solche Geschichte? Pfeifer wurde etwas aufmerksamer, zog seiner Hose billiges Rindenpapier und einen Kohlestift, er hatte so ein Gefühl.
„Und Monster aus Fell, Krallen und groß wie Häuser!“ flüsterte eines der Kinder und gestikulierte mit seinen Händen auf seinem Kopf ein paar Ohren. „Wir dürfen darüber nicht reden! Oma sagt, die waren so böse das sie bestraft wurden!“ sprache ein ängstliches Kind. „Meine Mama sagt, dass es nur eine Geschichte ist, die gar nicht wahr sind!“, „Mein Bruder hat gesagt, dass es wahr ist!“, keifte eines der Kinder. „Ja Ja, dein Bruder, der Seemann! Der erzählt doch ständig nur Geschichten und alle solln war sein.“, böckelte ein anderes Kind. Die Kindergruppe hatte sich inzwischen unter einem Vordach hinter der Bäckerei zusammengerottet, damit man sie nicht gut hören konnte. Aber Pfeifer hörte so ziemlich jedes Wort, das war sein Handwerk, das und seine Flöte.
„Well´fe“ flüsterte das Kind, das auch schon von den Bären gesprochen hatte. Es war ein kleiner Rebell und Wichtigtuer, aber nicht bösartig, so wie keines dieser Kinder überhaupt wusste was bösartigkeit sein sollte. Die Kinder gruselten sich alleine schon vor dem falschen Wort. „Die fressen Kinder am Stück und sind fast so groß wie Pferde, mit ganz dichtem Sandfarbenen Fell!“ erzählte es wie von einem Mythos, aber es verfehlte seine Wirkung die Kinder hatten Angst. Die Vorstellung das ein Tier das Fleisch frisst so groß sein könnte machte ihnen große Angst. Natürlich waren die Beschreibungen völlig überzogen, aber das änderte nichts an der Fantasie der Kinder, die sich dazu schreckliche Monster bildeten.
Pfeifer erkannte den Ort, um den es gehen musste, aber selbst ihm lief ein kalter Schauer über den Rücken. Er entschied sich zu gehen, hier gab es keine Geschichte, die er nicht schon kannte.
„Nur weil ihr noch nie welche gehört habt! Aber wenn man vor der Kirche steht kann mal sie Nachts hören!“ beharrte eines der Kinder als die Diskussion darüber entbrannt war, ob diese Well´fe jetzt existieren oder nicht. Pfeifer merkte sich den Satz, ehe er seinen Weg zu den Waschweibern fort setzte. Das klang doch nach einer schönen Geschichte für die Crew. Nach den Vorstellungen erzählten sie sich gerne Gruselgeschichten.
Der Abend kam schnell und so wie die Schiffsglocke läutete bekam auch Pfeifer sein Signal, er war der Rattenfänger mit der Flöte. Er lief mit seiner Flöte durch die Straßen und verkündete damit: Die Vorstellung beginnt bald, überall dort, wo man die Schiffsglocke nicht mehr hörte. Und so war er fast wie eine berühmte Märchenperson, mit den vielen Kindern die ihm folgten, aber auch die Erwachsenen und Alten folgten ihm gerne zum Schiff und lauschten den Melodien die er bis dahin spielte.
Schnell war das Doch zu einem kleinen Theater geworden. Bäcker und Metzger boten Stollen und geräucherten Fisch an als Snacks, auch ein paar Schausteller die gerade nicht auf der Bühne waren, waren unterwegs, halfen Kinder und Älteren zu besseren Plätzen, sammelten Münzen vom Boden oder sorgten mit Instrumenten am Dock für eine noch bessere Stimmung und untermalten die Aufführung. Eine mehr oder weniger neues aus Seronna über ein Weib, das aus Neid zu einer Hexe wurde, Unheil stiftete und schließlich von einem Priester mit einem Spiegel besiegt wurde. Pfeifer fand die Geschichte langweilig, aber manchmal durften sie nicht über das berichten, was gerade aktuell war. Politik machte auch vor Schauspielern keinen Halt.
Die Aufführung war zuende und die Schauspieler bedankten sich, kratzen Münzen aus dem Dock, tauchten sogar danach. Die Sherazan hatte einige Schauspieler deren Leidenschaft das tauchen war, so kamen sie immer auch in schlechten Zeiten über die Runden in dem sie Muscheln und Langusten verkauften. Aber ihrer aller Leidenschaft war die Schauspielerei und das erzählen von Geschichten.
Pfeifer erinnerte sich an die Geschichte der Kinder, also bei Nacht vor der Kirche? Das wollte er sich selbst anhören. Hier im Süden gab es keine Wölfe, nicht wie die im Norden, hier gab es kleinere Wildhunde und in seltenen Fällen so etwas wie seltsame Katzen mit Hundegesicht, Fozza? Fossa? Irgendwie nannten sie diese Tiere. Er machte es sich mit seinen Notizen des Tages auf einem Dach mit einer kleinen Laterne bequem und wartete auf die Legende der Kinder.
Dunst legte sich über die Stadt, so wie die Nacht die Pflanzen abkühlte, ein feuchter kühler Dunst, eigentlich recht angenehm nach dem viel zu heißen Tag, fand er. Er las seine Notizen, als er einen Schatten aus dem Augenwinkel beobachtete. Ein Hund? Er blinzelte, und versuchte durch den Dunst zu sehen, aber es hatte keinen Sinn. Er sah nur einen schwarzen Schatten ohne echten Umriss, als hätte jemand einen Tropfen Tinte auf nassem Papier verschüttet.
Er musste näher heran, schnell waren papier und Laterne eingepackt und so wie er an der kante des Daches angekommen war, hörte er das was die Kinder erzählt hatten, ein heulen, laut und hell und vibrierte einem noch bis in die Haare, Der Schatten warf etwas und verschwand in den Gassen noch bevor Pfeifer von dem Dach herunter war. Er ging zur Kirche, an ihrer Tür war ein Gekritzel. Ein Greif mit dem Körper eines Bären statt eines Löwen. Der Priester kam zur Tür der Sakristei heraus und nach einem schnellen Wortgefecht war klar, dass Pfeifer nicht der Täter war. Jeden Abend zur selben Zeit musste er die Kreide Kritzelei entfernen. Niemand sollte es sehen und schon gar keiner konnte sich darüber unterhalten und so ziemlich jedem war auch klar warum.

Pfeifer auch nicht. „Das Heulen?“ fragte er nach einer kurzen Unterredung mit dem putzenden Priester. „ Das ist nur die große Glocke, wenn es Nacht wird kommt aus den Bergen ein eiskalter Wind ins Tal, aber in der Richtung haben keine Windbrechung, also Schlägt der Wind in die Glocke, das ist alles.“, Pfeifer legte den Kopf schief und dachte über die Erklärung des Priesters nach, na so ganz klar war das nicht. Aber vielleicht war es wirklich so. Er half dem Priester noch an sehr niedrigen Stellen und machte sich auf den Weg zurück zum Schiff.


Bericht:
Grenzlande als zu gefährlich eingestuft. Stopp. Fichtenhall nicht erreichbar. Stopp.
Brechtholm zerstört. Stopp. Ursachen unbewiesen. Siehe letzte Korrespondenz Dorfvorsteher. Stopp. Weiteres Vorgehen nicht vorgesehen. Stopp.

Gerücht:
Die alten Länder haben die Grenzlande aufgegeben, ebenso die Kirche. Es hält sich hartnäckig das Gerücht die Grenzlande wären auf etwas gestoßen und keine Hilfe erhalten. Krankheiten und wilde Tiere und schlechtes Wetter. Ursachen unbekannt. Eine Rebellengruppe hat sich gebildet, die der Kirche und den Ländern Fehlverhalten vorwirft. Sie fordern sofortige Hilfe für die Grenzlande. Ihr Zeichen sind ein Greif mit dem Körper eines Bären und die Parole: Non credere a ridens Lupum.

[Bild: AD_4nXf446nsX39f3YTvll6jnd_q4RSxgbQhi97U...Gd5mwIHlK8]
Die Sache wird totgeschwiegen.
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