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Das Testament des Raphael Bonnington

#1
Bell 
Das Testament des Raphael Bonnington

Im Vollbesitz meiner geistigen und körperlichen Kräfte, wie sie mir nach all den Jahren noch zur Verfügung stehen, verfasse ich, Raphael Bonnington, dritter Prior zu Neu Corethon, hiermit meinen letzten Willen.

Meine lieben Freunde und Wegbegleiter, wenn ihr diese Zeilen lest, dann ist mein irdisches Leben zu einem Ende gekommen und der Heilige Renbold hat mich bereits über die Schlucht Dysmar geführt und so meine Seele rein war, wird der Herr mein Wirken und Wandeln für gut befinden und mich in seine Arme schließen.
Grämt euch nicht allzu sehr, denn mein Leben war lang und erfüllt. Mir ist bewusst, dass Deyn Cador und seine Heiligen mir bereits zu Lebzeiten zahllose Geschenke zukommen ließen, doch ist letztlich der Tod, der Übergang in die ewige Einheit mit dem Herrn das größte Geschenk, das ich mir auf meine alten Tage erhoffen konnte.

Viele Jahrzehnte ist es her, doch ist es wohl ein Spiel des Schicksals, dass mir besonders der Beginn noch gut in Erinnerung geblieben ist, auch wenn mir manche anderen Gedanken immer öfter entfleuchen, die Schlechten, wie leider auch die Guten. Meine Kindheit und Jugend war wohlbehütet im Kreise meiner lieben Familie und den Mitbrüdern im Kloster Melissengespenst, dem schönsten Ort Weidtlands, jedenfalls meiner Ansicht nach. Zu dieser Zeit wurde ich ausgestattet mit, wie ich später bemerkte, Samenkeimlingen, die über die folgenden Lebensjahre hinweg genährt werden sollten, aufblühen und letztlich wieder eingehen, wie es nun der Lauf der Dinge ist.

Mein Entdeckerdrang brachte mich einst dazu, die sichere Heimat zu verlassen und diese Insel Neu Corethon mit all ihren Wundern und Geheimnissen aufzusuchen. Eine Bastion des Fortschritts aller Menschen, die weiter streben hinein in das Unbekannte. Auf diesem kleinen Felsen im Meer stand nur eine kleine Ordensgemeinde diesen gewaltigen Herausforderungen entgegen, weswegen ich es mir zum Ziel setzte, die Verbreitung und Aufrechterhaltung des Glaubens auch in der Ferne leisten zu wollen. Eine Aufgabe, die große Gefahren und Strapazen mit sich brachte, wie die riskanten Gespräche bei den Bororo im Norden der Insel oder ungezählte Zusammenstöße mit Kulten, Magiern oder gar Dämonen. Doch ist es eine Aufgabe, die weit über mich hinausging und auch nicht von mir vollendet werden wird. Denn der Sünder sind viele, so steht es schon in der Geschichte vom Heilig Huhn. Doch meinen Teil getan zu haben, erfüllt mich mit Freude und zusätzlich mit der Gewissheit, dass diese Insel von vielen abenteuerlustigen Menschen bewohnt wird, man könnte es beinahe eine Voraussetzung dafür nennen, eine Umsiedelung hierher überhaupt zu erwägen. Und somit wird Neu Corethon auch in den kommen Jahren und Jahrzehnten die Speerspitze sein für diejenigen, die Licht in das Dunkel bringen wollen.

Mein Handwerk, denn ein jeder Mensch sollte zumindest ein tugendhaftes Werken erlernen, um die Schöpfung des Herrn zu mehren, speiste sich aus unserer langen Familientradition der Brauerei und Winzerei. Eine Fähigkeit, in der ich gewiss keine Meisterschaft erlangte, doch mindestens weitreichender Kenntnisse konnte ich mich rühmen. Besonders die Aufnahme des ersten Weins der Neuen Welt, dem Prioreiswein, in die Bücher meiner Ahnen war mir eine Sternstunde. Doch meine Hände wurden fahriger und allzu herbe Geschmäcker zogen mir in den Knochen, denn wenn das Alter ruft, dann muss man das Handwerk lehren, statt es auszuführen. Ich kann dankbar dafür sein, über all die Jahre auf Neu Corethon so viele tüchtige und lernwillige Braumeister auszubilden, ja gar eine ganze Brauerei errichten zu können, auf dass diese feine Kunst mich noch viele Jahre überdauern möge.

Meine Muße widmete ich gerne den Küsten und Welten, die man in Frieden und Ruhe von einem guten Schreibtisch aus begehen konnte, denn trotz dessen, dass ich mit einiger Gewissheit sagen kann, vor Gefahren nicht über Gebühr zurückzuschrecken, so bin ich kein Mann des Schwertes und wenn es mir möglich war, spähte ich gerne hinauf in die unendlichen Weiten. Ein wahrer Segen war es, dass die Konstruktionspläne eines Himmelsrohr ihren Weg in meine Hände fanden und so durfte ich viele Stunden den Nachthimmel und die Gestirne erkunden, die wohl alle Menschen auf Athalon sich angeschaut, doch nur die Wenigsten wahrlich gesehen haben. Dort draußen warten Welt auf uns, die sagenhafte Bewunderung und unsägliches Grauen hervorrufen können und mir war es vergönnt einige Erkenntnisse zu veröffentlichen zu der sogenannten Heliozentrik und der Bewegung der Planeten rund um Athalon, ein kleiner Beitrag, bei dem, was dort draußen noch wartet, doch letztlich höhlt steter Tropfen den Stein. Doch die Zeit schreitet voran und kluge Köpfe bringen neue Gerätschaften hervor, die uns noch weitaus tiefere Einblicke ermöglichen, während zugleich mein Augenlicht schwindet und zumindest in diesem Leben der Blick zu den Sternen mir mehr und mehr verwehrt wird. Dankbar bin ich für diejenigen, die da nach mir kommen, die Fackel der Neugier neu entfachen und damit das Dunkel des Himmels erleuchten.

Mein Glaube zählt wohl zu den Aspekten meiner selbst, die nicht dem Gesetz des Alterns folgen, denn über die Jahre wurde aus der elterlichen Erziehung und der klösterlichen Lehre eine unumstößliche Gewissheit, dass Deyn Cador an der Seite derer steht, die in seinem Namen und Sinne Recht und Ordnung über diese unsere Welt bringen. Doch auch ich bin nicht frei von Zweifeln und Fehlern. Mehr als nur ein mal und öfter als es vielleicht der regelmäßige Messebesucher vermuten mag, wurde mein Glaube schwer erschüttert. Große Unglücke, Schicksalsschläge und Verluste ziehen nicht ungehört an einer Seele vorbei, doch durfte ich mich allzeit auf meine Mitbrüder und -schwestern verlassen, die diese Momente mit mir teilten und die gemeinsam mit mir auch immer wieder den Weg zurück ins Licht fanden. Und letztlich ist es nur dem Herrn, der ebenso dieses Vertrauen in mich setzte, zu verdanken, dass ich überhaupt noch so viele gesegnete Jahre unter euch wandeln durfte und nicht in jener schicksalshaften Nacht vollends dahinschied. Seit ich darniederlag mit geöffneter Kehle durch durch ein Ordensschwert, geführt von einer verruchten Kultistin, seit der Zeit, da jeder Heilkundiger mich aufgegeben und ich bereits aufgebahrt in der Kirche lag und der Herr mir, nach einem kurzen Aufblitzen des Nachlebens doch noch ein weiteres Mal das Leben schenkte, da weiß ich, dass all die weiteren Jahre nur geliehen sind. Ein Überschuss, auf den man nicht bestehen kann und wenn er aufgebraucht ist, wie es nun der Fall ist, schreite ich ohne Angst in den Tod, denn er ist für mich kein unbekannter Pfad mehr.

Meine Mitmenschen, euch möchte ich nun ganz persönlich ansprechen, denn diese letzten Worte sollen euch gewidmet sein. Zunächst meine liebe Familie, besonders meine Brüder, denen ich einst so eilig Lebewohl sagte, wohl in der stillen Erwartung sie nie wieder zu sehen. Doch die Vorsehung schien es anders geplant zu haben und so traf ich euch allesamt wieder. Uriel, der du die Weinberge und zugleich unsere Familie weiter führst, du bist der einzige lebende Bruder, den ich noch habe. Mögen alle meine besten Wünsche dich und deine Familie begleiten, bis ich dich einst im Jenseits wiedersehen werde. Michael, du und Gabriel sind schon vor mir gegangen, euch werde ich nun wiedersehen. Und ganz unabhängig der verschiedenen Pfade, die wir drei gewählt haben, ganz frei von Reue und Verzweiflung will ich euch begegnen und hoffen, dass wir drei auf unsere letzten Jahre eine reine Seele hatten, auf dass wir zusammen Vater und Mutter in die Arme schließen können, die uns gewiss alle gleichsam lieben und vermisst haben. Vater Philip, mein Mentor und Lehrer im Kloster, auch deine Ratschläge begleiteten mich mein gesamtes Leben und wie es dein Wille war, so konnte ich ein Monument des Glaubens schaffen, das mich und meine Zeit überdauern wird. Prior Teril, mein Vorgänger im Amte, du hast mich einst in diesem Orden aufgenommen, der gerade einmal eine abgebrannte Priorei besaß und hast mir Obdach und einen weisen Ratschlag gegeben. Ich gab nie alles auf einmal aus und so konnte der Orden zu Neu Corethon wieder wachsen und gedeihen, ja größer und erhabener werden, als ich es je zu träumen gewagt hätte. Meine guten Freunde auf der Insel, die ich über die Jahre von mir gehen lassen musste. Mein lieber Leonhard, der du zusammen mit mir die schlimmsten Vergehen aufgeklärt hast und vor keinem Verbrecher zurückschrecktest, Argonius, ein Mann, der es zu Großem brachte, doch allzeit auch ein Teil dieser kleinen Insel sein wird und ein tatkräftiger Freund in schweren Lagen war. Ich freue mich schon darauf, mit euch vor einem himmlischen Kamin in Vergangenem zu schwelgen.

Und nun meine lieben Ordensmitglieder, die ihr mich all die Jahre begleitet habt. Meine Worte des Dankes sind endlos und lassen sich nicht zu Papier bringen. Die Zeit mit euch war mir die Schönste meines Lebens. Gemeinsam mit euch Seite an Seite für diese Insel und die Gemeinde hier einzustehen, die zu hüten und beschützen, dies wurde mir mein Credo. Zusammen standen wir größte Gefahren durch und zugleich feierten wir die ausgelassensten Feste. Meine Gedanken springen hin und her, wenn ich mich an euch zurückzuerinnern versuche und ich muss darauf achten, dass keine salzigen Tränen dieses Pergament befeuchten. Da sehe ich den Alten Harry, wie er zusammen mit mir meinen Spatz nährt, Salomon Cain, der sein Leben gibt bei der Versiegelung des Seelenheims, Dous von Urielsberg, der zusammen mit mir Kräuter sammelt, Alexander Diluce bei der Belagerung der Untoten, wie er den Bürgern Mut zuspricht, Quaranari Düsterblatt, der einen Stamm Ureinwohner tapfer abhält, Pater Santiago, mit der wunderschönen Kithara, auf der er so fantastisch zu Spielen verstand, Avenius Regenschein und Quaranari Düsterblatt, die gemeinsam einen Stamm Bororo abwehren, Fynn Gross, der mit angeschmolzener Rüstung einer glühend heißen Höhle entsteigt, Ivo mit einem handgeschnitzten Huhn beim Talentwettbewerb, Drevin mit Archäologenkelle bei der Ausgrabung, Bruder Viatorius, der so wunderbar die Heiligen Schriften niederschrieb und noch so viele mehr. Salvyro Notfink, wie er im Kampf gegen den Dämon vor den Mauern Jeorginas fiel, Jule Weber, die sich liebevoll um unsere Fischzucht kümmerte, Rhys Morgan, der selbst in höchster Not mit ruhigen Fingern einen Verband legen konnte und Friedrich, bei so manchen fröhlichen Gelagen. Amélie, die auf ihrem Ross stolz davonreitet und Abt Dysmas, der uns allzeit gemahnt hat, zu Vertrauen. Und Franz Gerber, der so viele Jahre mir so viel mehr war als Schild und Schwert, ein Bruder, der mit mir diesen Pfad ging und der auffuhr in das ewige Licht.
Auch wenn ich nicht alle Ordensbrüder einzeln erwähnen konnte, so seht es mir nach, ihr seid allesamt nicht vergessen. Und jene, die ich nun zurücklasse, werden euren und meinen Willen weitertragen.

Magdalena, lass dir nicht von kleineren Rückschlägen deine Neugier nehmen. Strebe allzeit nach Größerem und denke daran, dass der Herr dich angenommen hat, so wie du bist. Archibald, kommt Zeit, kommt Rat und ich weiß selbst bestens, dass mit dem Alter auch Weisheit kommt. Nimm dir all die Zeit, die du brauchst, denn wenn der Herr sie dir gibt, wer möge sie dir absprechen? Lara, die Welt dort draußen ist so groß und schön, verstecke dich nicht vor ihr in deinem Kämmerlein und begib dich in sie hinein. Svea, unsere neue Novizin, dein Leben ist noch ein leeres Buch, wähle wohl, wie du die Seiten dieses Werkes beschriften mögest.
Mein lieber Konstantin, mein frisch gebackener Protektor, du hast die Schrecken und Freuden dieser Insel erlebt und stehst noch immer hier, wie am ersten Tage. Du bist aus dem Holz, aus dem man geschnitzt sein muss, um hier zu bestehen. Mit dir als Protektor weiß ich den Orden in guten Händen, sei weiterhin ihr Schild und lass nicht zu, dass Leid über sie kommt.


Schlussendlich werde ich eine letzte Verfügung treffen. Ein Entschluss, der über die letzten Jahre wohl gereift ist und für den ich den rechten Zeitpunkt nun für gekommen halte. Dieser Orden zu Neu Corethon am Ende der Welt, fern von den Intrigen und Streiterein des Festlands, seien sie nun in der Politik oder der Kirche, muss den Menschen hier in der Fremde etwas Vertrautes bieten. Ein Ort der Eintracht und der Zusammenkunft, kein Ort der Anfeindungen oder der Ausgrenzung. Mit traurigem Auge beobachtete ich die Entwicklungen der letzten Jahre in Leändrien und speziell in der Kurmark. Es sei hiermit also erlassen, dass mit der Genehmigung des Silvanischen Kirchenrats der Solanerorden zu Neu Corethon fortan ein vollends Silvanischer Orden sei, nicht der Kurmark oder dem Solanerorden zu Leändrien unterstellt. Meine Nachfolge wird ein Prior antreten, der diese Verfügung achtet und den Orden nicht über Gebühr an einen einzelnen silvanischen Orden binden wird. Denn der Herr und alle 12 Heiligen in ihrer Gesamtheit sollen die Menschen hier erfüllen. Vielfalt ist die Zukunft, nicht Einseitigkeit.

Und so sage ich Danke, für all die Jahre in eurer Runde. Möge euch viel Freunde und Glückseligkeit beschieden sein, ich vermisse euch jetzt schon und warte geduldig darauf, dass wir uns drüben wiedersehen.
[Bild: 8lTSvmO.gif]
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