Spuk in der Sägemühle
Der folgende Eintrag ist in einwandfreiem Sorridianisch verfasst. Der Text wurde mit geschwungener und sauberer Handschrift geschrieben. Er ist nicht in der Gilde der Kartographen zugänglich, dafür beim Konquistador auf Cerrona.
Werter Conquistadore,
in den untenstehenden Zeilen findet ihr meinen kurzen Bericht über die Ereignisse auf Cerrona.
Senioré Kessler hatte seine neuen Aufträge, kurz nach unserem letzten lautstarken Streit über die Lautstärke in meinem Haus, angehängt. Sein Büro wurde sogleich von mehreren willigen Tasperinern gestürmt. Sie alle wollten die Aufträge auf der Insel oder für den Staat Tasperin machen. Unser glorreicher Gottkönig hat hier nur eine Handvoll Fürsprecher. Um ehrlich zu sein, kenne ich nur eine Person, die uneingeschränkt zu euch steht – mich.
Bevor die Aufträge abgearbeitet wurden und wir zu euch reisen konnten, beging die Kolonie Neu Corethon noch ein wahres Spektakel – den Prangertag! Und wisst ihr, wer mit Obst und Kot beworfen wurde? Eine Magierin. Wir hätten sie direkt verbrennen sollen, aber ihr kennt diese gottlosen Menschen schließlich, nó? Immerhin hat der wütende Mob ihr gezeigt, was für ein dreckiges Stück widerlicher Abschaum sie ist. Ein erleichternder Anblick.
Nach einem erfolgreichen Prangertag sammelten sich die tapferen Ritter des Sôlaner Ordens und meine Wenigkeit für die Hilfe unserer geliebten Nachbarn, Euch. Wir organisierten Vorräte und Werkzeuge, brachten Wasserfässer und Beiboote an Bord der OS Marina. Am nächsten Tag sollte die Abfahrt stattfinden.
Pünktlich trafen wir uns an Deck. Prior Raphael Bonnington wollte uns gerade verabschieden, als Gavinrod Windwiegen dazustieß. Ich muss euch nicht sagen, dass dieser Mann mehr Geheimnisse hat, als Dinge über ihn bekannt sind. Dazu aber in den folgenden Zeilen mehr.
Wir legten in Neu Corethon ab. Mit gehissten Segeln führte uns der Wind über den Ozean. Die Tasperiner beschrieben es als Segen der Heiligen Marina. Wir wissen es aber besser, sí?
Getrieben von schnellen Winden erreichten wir ohne Müh die Hochsee. Uns begleiteten zahlreiche Delfine, die links und rechts der Bordwände aus dem Meer sprangen. Ihr majestätischer Anblick erinnerte mich an die Isla de la Riqueza, unsere geliebte Heimat. Vielleicht kamen wir auch dank ihrer Begleitung so wunderbar schnell auf euer Eilland?
Am dritten Tage unserer Überfahrt erreichten wir unser Ziel. Der Anker wurde in den Meeresboden geworfen und manifestierte unser Dasein im glorreichen Sorridia. Mit kleinen Ruderbooten fuhren wir in euren Hafen ein, wo wir innerhalb kürzester Zeit Gastgeschenke überreichten und die Ankergebühren zahlten. Euer freundlicher Empfang entzückt mich noch heute, eure Exzellenz. Nach unserem Gespräch machten wir uns direkt an die Informationsbeschaffung. Es galt schließlich eine Sägemühle voller Gefahren zu bereinigen. Doch niemand wusste, was dort so genau lauerte.
Meine ersten Gesprächspartner konnten eher weniger Informationen beitragen, dafür erfuhr ich umso mehr über das liebliche Cerrona. Eine Insel, wie sie eben nur unser Gottesstaat aufbauen konnte! Euer Pater Josef Pastillo hatte glücklicherweise einige Beobachtungen gemacht und seine eigenen Erfahrungen mit uns. Schließlich war er es, der ausreichend Mut bewiesen hatte. Mit einigen Begleitern machte er sich auf den Wald, wo sie von Schatten in den Bäumen bedroht wurden. Panik brach in der Gruppe aus, sie rannten durch den Wald und verloren sich aus den Augen. Das war nur die Kurzform, aber mir geht ansonsten das teure Briefpapier für euch aus.
Irgendetwas sollte also in dieser Sägemühle lauern, und wir würden es für euch lösen! Kurzum, wir brachen auf. Nach einem halben Tagesmarsch fanden wir die verlassene Hütte am Nordufer der Insel. Vielleicht etwas voreilig bin ich auf die Tür zugestürmt und wurde von einer Art geisterhaften Erscheinigung heimgesucht. Ich fiel vorne über und machte mir die Knie dreckig. Nach dem kleinen Schreck stürmten die heldenhaften Ordensritter und Windwiegen in seinem feschen Mantel (angefertigt von mir, nur so am Rande) das Gebäude. Der mysteriöse Abenteurer und ich fanden Blutflecken sowie ein widerliches Massaker im Keller. Mir blieb die Luft weg, doch unser Stoiker wühlte da schon in den Knochenhaufen herum. Ihr solltet wirklich herausfinden, was hinter diesem Mann steckt. Es könnte ein Gewinn sein, eure Exzellenz.
Derweil stürzte Ordensritter Groß grandios durch ein morsches Holzgeländer im ersten Stock. Ein schmerzhaftes, plumpes Metallklirren ließ seinen Aufprall auf dem Boden verlauten. Ich hatte mir mehr von ihm erhofft, aber man muss nehmen, was man bekommt, nicht? Ohne größere Funde bauten wir unser Zelt am Strand auf. Es gab leckere Feuerkartoffeln und andere kleine Speisen.
Die erste Nachtwache übernahm Windwiegen, es folgten die beiden Ordensritter. Ich genehmigte mir meinen überaus verdienten Schlaf. Es gab, soweit ich das feststellen konnte, keine Vorkommnisse in der Nacht.
Meine Begleiter bauten die Zelte ab und wir schlugen uns bis zur Wassermühle durch. Dank meiner erstrebenswerten Orientierungskünste fand unsere Gruppe schnell den Weg. Eine eingestürzte Brücke verhinderte allerdings den Zugang zur Tür. Es musste also eine Lösung her, weshalb ich mir ein Seil umband. Die drei strammen Männer hielten die andere Seite fest in ihren schweißgetränkten – ungewaschenen – Händen. Ich watete grazil durch den Fluss, kletterte an der anderen Seite fest und befestigte das Seil. Ich habe dabei auch nur ein klein wenig Wasser schlucken müssen. Wirklich schmackhaftes Flusswasser habt ihr auf Cerrona, mein Neid kennt keine Grenzen.
Auf der Suche nach einem Brett, betrat ich die Sägemühle. Keine gute Idee. Die Tür fiel mit einem Schlag zu. Ich war getrennt von meinen Beschützern. Zu allem Überfluss ging plötzlich auch noch ein maskierter Mörder mit einer Axt auf mich los! Mein Herz raste und ich machte eine Kehrtwende. Meine Beine trugen mich an das Ende des Raumes. Ich hoffte, dass dort ein ebenso breiter Durchgang sein würde, doch ..
Sackgasse!
Mein Widersacher trieb mich in die Ecke, während der Rest vom Prangerfest noch lange nicht über den Fluss war. Was tragen sie auch immer ihre ulkigen Rüstungen, diese dicken Männer! Blitzschnell schnappte ich mir noch eine in der Wand steckende Axt, ich würde niemals kampflos fallen!
Ich presste gerade meinen Rücken an die Wand, da trat er um die Ecke. Sein grimmiges, verstelltes und von einer Haube bedecktes Gesicht grinste mich an. Ich dachte, dass ich gleich sterbe. Jetzt. Just in dieser Sekunde. Für den Gottkaiser. Für euch.
In meiner Not hob ich die Axt hoch über meinen Kopf, schleuderte sie durch die Luft und – traf.
Die Axt steckte in seinem Körper. Da knallte es laut neben mir. Konstantin Lind betrat den Raum. Der Ordensritter stand wie verdaddert da, reagierte nicht einmal auf meine wilden Rufe. Mein Widersacher hingegen verschwand. Einfach so. War weg.
Es war ein grausamer Horror. Was war denn da gerade bitte passiert? Hier war ein vermaledeiter Mörder unterwegs. Und ich hatte ihm eine Axt in den Magen geschmissen. Das nenne ich Schutz des Vaterlands, eure Exzellenz. Jedenfalls betrat auch kurz danach der Rest der majestätischen Krieger das Gebäude. Verbarrikadiert hinter ihren Schilden versammelten wir uns im Gebäude. Wobei, an dieser Stelle habe ich unsere befehlsmäßige Türbrücke vergessen. Und natürlich, dass Fynn Groß mir bei seinem Sprung seinen Unterarm ins Gesicht gehauen hat. Mein Einsatz kennt keine Grenzen!
Geschützt von bewaffneten Männern gingen wir tiefer hinein in das Gebäude. Überall roch es nach Verwesung und Moder. Es stank, wie in der Neu Corethoner Taverne nachdem dieser Haldare da war. Niemand konnte den Ursprung der Dünste ausmachen. Alles wirkte wie eine verlassene Sägemühle. Gespenstisch verlassen. Als ob seit Monaten niemand mehr hier war, aber das konnte es nicht sein. Schließlich waren da die Berichte eurer Bürger, des Paters.
Angeführt von Ordensritter Lind betraten eure wackeren Helden den Hinterraum mit der eigentlichen Säge. Der Wartungsschacht fiel uns allen direkt ins Auge. Unsere Kolonne stieg daher den dunklen, unheimlichen Gang hinab. Den Rest könnte ihr ahnen – oder auch nicht.
Je tiefer wir gingen, desto dunkler wurde es. Lampen und Fackeln boten uns schon bald kein Licht mehr, selbst als diese eben noch loderten und qualmten. Und ein Wartungsgang war dieser Tunnel nach den ersten zwanzig Metern auch längst nicht mehr. Wir waren da etwas auf der Spur!
Doch dann erklang ein weiterer lauter Ton in der Dunkelheit. Ordensritter Groß verschwand in einem Loch hinter mir. Er schrie, dass er einen eigenen Ausweg fand. Also schritten wir voran. In der gespenstischen Dunkelheit klammerte ich mich an Windwiegens Mantel fest (der, den ich ihm angefertigt hatte). Irgendwann war aber auch er einfach weg. Spurlos verschwunden. Und ich war allein. Allein in einer betäubenden Dunkelheit ohne Ausweg. Ich tastete mich entlang an Wänden, die sich wie kalter Schlamm anfühlten. Meine Füße fanden kaum Raum zum Auftreten. Auf meine Augen konnte ich mich schon längst nicht mehr verlassen.
Bis ich Licht sah. Ein grelles Licht, das mir ins Gesicht schien. Ich fand mich in einer Gefängniszelle wieder. Was in diesem Raum geschah, was ich dort sah, will ich hier nicht aufschreiben. Irgendwann durchbrach ich die Tür. Und lag mitten im Wald.
Ich verstand die Welt nicht mehr, erkannte jedoch den Pfad zur Wassermühle. Wakligen Schrittes suchte ich nach meinen Begleitern. Erst als ich in der Mühle selbst war, fand ich sie. Windwiegen und Groß waren ähnlich geschockt, wie ich. Auch sie hatten .. Dinge gesehen. Grausige Dinge, die ihnen Angst bereiteten. Lind stieß unwesentlich später auch dazu. Es bedarf keiner Erwähnung, dass es auch ihm nicht besonders blendend ging.
Nach kurzer Überlegung waren wir uns sicher, dass etwas in diesem Gebäude unsere Sinne betäubt hatte. War es eine Person? Ein Objekt? Mir kam der schleichende Verdacht, dass es etwas mit dem Holz zu tun haben musste. Das eingespannte Stück des massiven Stammes auf der Sägebank schien irgendwie die Schuld zu tragen. Wir folgten daher der Schleifspur entlang des Weges der Holzfäller.
Angekommen an einem abgesägten Holzstumpf durchfuhr die Ordensritter sofort ein ungutes Gefühl. Sie sagten, dass es dunkle Magie oder dergleichen sei. Der Baum sei verflucht. Aber wer verflucht denn einen Baum? Ich hatte da so einen leichten Verdacht und rammte meine Axt in den Baum. Kurzgesagt – meine Theorie wurde bestätigt. Ich lasse an dieser Stelle den unwichtigen Teil raus, damit ihr nicht gelangweilt werdet. Wir erkannten jedoch, dass das Wasser mit einer dunklen Kraft belegt war und deswegen diesen überaus seltenen Baum befallen hat. Mit einem genialen Einfall wusste ich natürlich sofort, was dies für ein gefährliches Werk der Natur war. Cerrona bietet wirklich außergewöhnlichen Pflanzen eine Heimat, seid stolz darauf, eure Exzellenz.
Die Ordensritter mitsamt Windwiegen führten allerlei witzige silvanische Rituale durch, um Wasser und Baumstumpf zu reinigen. Das Wasser ist wieder sicher, der Baumstamm wurde verbrannt. Selbstredend entfernten wir auch jegliche Reste des Baumes in der Sägemühle und gaben diese gleich mit in die Flammen.
Ein wahrer Schrecken durchfuhr uns allerdings, als wir wieder in die bereinigte Sägemühle zurückkehrten. Die Körper der Arbeiter waren völlig zerstückelt. Überall verteilt. Grausam zugerichtet. Ein schreckliches Spektakel. Ordensritter Groß kam überhaupt nicht damit klar und wurde bleicher, als ein haldarisches Feueropfer vor seinem gerechten Schicksal. Wir beließen alles in seinem Zustand und informierten den Pater. Er sollte diese tapferen Sorridianer auf sorridianischem Boden nach unserem Ritual bestatten.
Das Rätsel um die Sägemühle wurde somit gelüftet. Der gefährliche Baum wurde sicher vernichtet und die Quelle gereinigt, damit niemals wieder solch ein Schicksal passieren möge.
Ich spreche euch hiermit nochmals mein Beileid für den Verlust eurer Arbeiter aus
und freue mich auf baldiges Wiedersehen mit eurer Exzellenz.
Gezeichnet
Eleonora Henrietta Lorena de Graménts.
PS: Wenn ihr jemals ein Kunstwerk braucht, schreibt mir! Eine Portraitierung eurer Exzellenz wäre sicher ein Spektakel!