München. Alles begann mit einer falschen Abzweigung.
Doch was ist das Schlimmste, was durch einen kleinen Umweg passieren könnte? Den französischen Medien wurde Spektakuläres zugetragen, bei uns lesen Sie es zuerst! Eine routinierte Truppenbewegung in den Gefilden Frankreichs, welche von Burgund in die Picardie entlang der belgischen Grenzen entlanglaufen sollte. Doch der Truppführer Léopolde Lojka schien an diesem Tag seine Männer entlang der falschen Straßen geführt zu haben. Die Division berichtete nachträglich von ihrem Landmarsch, welche sie augenscheinlich durch wundervolle Täler, harmonische Gebirgszüge und bunte Wälder führte. Die Landschaft war von derartiger Schönheit durchzogen, dass es den Männern glatt die Tränen in die Augen trieb. Vielleicht mögen es diese Freudentränen gewesen sein, welche dem Truppführer schlussendlich den Blick verwässerte. Wie sich später herausstellte, handelte es sich bei dieser Region, in welcher Milch und Honig zu fließen scheint, um das recht unbekannte
Elsaß-Lothringen.
Nach diesem sprichwörtlichen Gewaltmarsch schienen die verlorenen Männer endlich auf eine größere Zivilisation gestoßen zu sein. Eine vergoldete Marmorsäule, welche die Gottesmutter Maria abbildete, stach als größere Sehenswürdigkeit hervor. Die Soldaten hielten sich nicht allzu lange bei diesem Monument auf, welches wohl als Marienstatue darstellte, und traten stattdessen den Weg auf den ähnlich klingenden Stadtplatz an. Dort wollte die Division rasten und sich bei der einheimischen Bevölkerung zwecks einer geeigneten Unterkunft erkundigen. Was die abgehärteten Männer jedoch erblicken mussten, ließ ihnen den Atem stillstehen! Der Marienplatz war von Blutpfützen und hunderten Leichen überschwemmt, ein gar kriegsähnlicher Zustand, von denen die französischen Soldaten unmittelbar Zeugen wurden.
Die folgenden Zeilen geben fast wortgenau die Einzelheiten wieder, welche von den eintreffenden Telegrammen aus München übermittelt worden sind. Truppführer Lojka wendete sich nach diesem Schock direkt einem Schwerverletzten zu: „
Sacré bleu!“ (frei übersetzt: „Guter Mann, was bei der heiligen Freiheit ist hier vorgefallen, kann man euch irgendwie helfen?“) Der am Boden liegende Mann, welchem augenscheinlich beide Arme und jeweils das rechte und auch das linke Bein auf brutalste Weise abhandengekommen sind, verstand wohl nur Bruchstücke des Französischen und antwortete in einem eher harten Dialekt: „
SAUERKRAUT! NEIN NEIN! ICH LIEBE STAMPFKARTOFFELN! ISS DEINEN NACHTISCH! GUTEN TAG!“ (frei übersetzt: „Es gab ein schreckliches Massaker hier in München, als unser friedlicher Protest von der Kaiserkrone niedergeschossen wurde! Bitte sagt meinen hungernden Frauen und meinem Kind, dass ich sie liebe – ich starb im Kampf für die Brüderlichkeit und Gleichheit!“)
Der Mann verstarb an Ort und Stelle, der Friedensprotest war zu diesem Zeitpunkt bereits mit dem Blut der deutschen Bürgerschaft beendet worden. In der Ferne sollen die französischen Soldaten noch gesehen haben, wie hinterhältigste Kriegsmaschinerie des Kaisers mit Verstärkung ihren Weg aus Kiel zurück in die bayrische Hauptstadt antraten! Familienangehörige kümmerten sich währenddessen um ihre sterbenden Streiter, welche von den örtlichen Behörden auf den Straßen zurückgelassen worden sind. Die sich nur zufällig vor Ort befindenden französischen Streitkräfte wussten nicht genau, wie ihnen geschah. Sie wussten, dass sie hier in fremden Territorium nach geltenden Friedensgesetzen keine Handlungen unternehmen durften. Zumindest konnten sie sich in diesen schweren Stunden ihrer Menschlichkeit bewahren und den deutschen Zivilisten mit ihren Vorräten notdürftig versorgen.
Was nun geschah, überraschte die gesamte Welt: Es mag in der französischen Blutlinie jener unterdrückten Münchener liegen, welche wohl als Nachfahren der von Napoleon besetzten Stadt bis 1805 zurückreichen musste. Ob es nun dem Anblick der französischen Streitkräfte selbst, den blutroten Pflastersteinen des Marienplatzes unter ihren Füßen oder einem ganz anderen Grund geschuldet sein mag, der Pöbel erhob sich in diesem Moment mit revolutionärer Flamme im Herzen! Die Regimeopfer wurden als Märtyrer gefeiert und lösten unter der bayrischen Bevölkerung offensichtlich eine große Welle der Entrüstung aus! Von überall her vernahm man plötzlich die laute Rufe des aufgewiegelten Volkes! Schluss mit der Unterdrückung des Kaisers! Nieder mit der Monarchie! Auch wir wollen sie erkämpfen: Unsere Freiheit, unsere Gleichheit und unsere Brüderlichkeit! Lang lebe die Menschlichkeit!
Unsere tapferen, französischen Soldaten scheinen hautnah als Zeitzeugen dabei zu sein, als sie ohne jede Vorwarnung in einen Freiheitskampf hereingerutscht sind. Als die herannahenden Truppen des Kaisers schließlich in München ankommen, beginnen sie ohne Vorwarnung auf die französischen Truppen loszuschießen! Die bayrische Bevölkerung stellt sich plötzlich hinter die demokratische Republik, schwenkt mit ihren Fahnen und setzt auf absoluten Widerstand. Die kriegsfernen Franzosen versuchten zunächst Stellung zu halten – um jedoch weiteres Blutvergießen auf deutschem Boden zu unterbinden mussten die französischen Truppen schließlich den Rückzug anzutreten. Kaiser Wilhelm II. wird aufgefordert, seinem eigenen Volk, welches ihm einst zu Macht verhalf, Rechenschafft abzulegen. Die Verhandlungen sollen in Kürze beginnen, Frankreich wird nach unseren Informationen versuchen, als neutrale Partei von außen zu vermitteln. Währenddessen scheinen die Bewohner des revolutionären Münchens
eine seltsame Apparatur am Marienplatz zu errichten…