Gebirgslandschaften
Erlebnisbericht: Laienkartograph Wernher Cunradus Rothenstein
15. Weidemond 1357
Die Schrecken und Wunden, die zahlreiche Bewohner Neu Corethons nach dem Angriff auf und dem Kollaps der Minen von Mamoria erlitten hatten, heilten dank Stephanies Gaben nach und nach, und so blieb mir endlich wieder etwas Zeit für den ein oder anderen Zeitvertreib, als mich nur um Verletzungen und das Reinigen von Verbänden und meiner Heilstube zu kümmern und zugleich noch genug Schlaf zu finden. So kam es, daß ich am 20. Weidemond in das Gildenhaus der Karthographen schlenderte und neue Aufträge vorfand, die ich mir mit der mir eigenen Neugier natürlich sogleich verschlang. Einer davon sprang mir besonders in's Auge, denn ich wollte nach den düsteren Begegnungen etwas für meine Seele tun und mich wieder einmal auf den Pilgerweg zu begeben. Warum sollte ich nicht versuchen diese Reise mit einer domenikagefälligen Aufgabe vereinen, zu lernen und jenes Wissen zu Papier zu bringen? So nutzte ich die nächsten Tag um mein kleines Abenteuer vorzubreiten, packte Ausrüstung und Vorräte ein. Bei diesen Besorgungen traf ich auf Fräulein Chilaili, die mir streng verboten hatte sie bei ihrem Nachnamen anzusprechen, was meiner Erziehung widersprach, aber ich beugte mich der Höflichkeit halber. Da sie mir schon ihren Karren für allerlei Besorgungen angeboten hatte, bat ich einer Eingebung folgend darum ob ich ihr Boot ausleihen durfte, was sie bejahte.
So kam es daß ich vor der Pilgerreise am 23. Lenzmondzunächst die Küste entlang ruderte. Allerdings hatte ich unterschätzt wie schwer es ist Entfernungen vom Meer aus abzuschätzen, erst recht wenn einen die Gezeiten und Strömungen ständig bewegen, während man versucht mit Tinte und Feder einen geraden Strich zu Papier zu bringen. Dadurch und durch nötige Ruhepausen kam es, daß ich das Boot einige Male auf den Strand ziehen musste. Ab der verlassenenen Feste began ich mit meinen Skizzen. Zunächst präsentierte sich mir ein langer Palmenstrand, der sich bis zum Anleger bei Mamoria zog. Dahinter begannen steile Klippen, die den Hof von Tamruk wie eine Festungsmauer vom Meer trennten. Auf den ersten Metern zog sich ein schlüpfriger Steinpfad zu einer Höhle entlang. Diese schien eine ordentliche Größe zu haben und ich fand Hinterlassenschaften die auf frühere Bewohner hindeuteten. Danach folgte ich den Steilklippen, bis ich ein gute Stück weiter im äußersten Nordosten einen weiteren Anlager fand. Dieser wirkte verlassen und führte zu einem Abgang in die Felsen hinein, in dem ich eine breite Treppe fand. Da es schon dämmerte war ich gezwungen mich dort auf dem ersten Treppenabsatz für die Nacht einzurichten.
Am 24. Lenzmond weckte mich die Brandung und lautes Mövengeschrei. Es war deutlich windiger und die See war rau. Mir war etwas bange als ich mich allein im kleinen Ruderboot wieder Deyn anvertraute. Doch er war mir gewogen, trugen mich Wellen und Wind doch fast wie von selbst. Die Klippen waren hier im Nordosten mit am höchsten, und ich meinte oben eine Mauer zu erkennen, vermutlich das Kloster. Doch ich hatte vor allem Augen für etwas deutlich spektakuläreres, einen Felsbogen von enormem Ausmaß. Dort wollte ich anlegen, erspähte ich doch eine Treppe und ein Tor auf der Südseite des vom Bogen überschatteten Bereichs, doch die Wellen hatten andere Pläne mit mir. So trug es mich an einigen Felsen vorbei, in denen ich auch die ein oder andere kleine Höhle ausmachte, bis ich in ruhigere Gewässer in der Nähe einer kleinen idyllischen, baumbewachsenen Insel mit feinem Sandstrand trug. Dort liefen die Klippen aus und ich erkannte daß ich mich unterhalb der großen Hütte am nördlichsten Teil des Pilgerweges befand. Ich zog das Boot auf den Strand und ruhte mich mit etwas frischem Obst aus, bevor ich meine Nachtstätte auf der kleinen Insel einrichtete, auf der ich überraschenderweise eine verlassene Hütte vorfand. Am nächsten Tag, dem 25. Lenzmond war die See fast spiegelglatt, so daß ich gut vorwärts kam und das Boot am Abend am Anleger von Mamoria festmachen konnte. Dort ruhte ich und schaffte es am 26. Lenzmond bereits zur Mittagszeit wieder zurück zu sein. Die nächsten beiden Tage verbrachte ich mit allerlei Muskel- und Rückenschmerzen damit, mich auszuruhen und die Skizzen ins Reine zu zeichnen, solange die Erinnerungen noch frisch waren.
Am 29. Lenzmond zog ich dann etwas erholt zu Fuß los. Zunächst ging es an den Strand, wo ich die beiden Schreine verzeichnete und den eingestürzten Zugang zu den ehemaligen Brutstätten der ausgerotteten Sandkriecher, bevor ich am Haus von Herrn Felljäger eine kurze Rast einlegte. Den Mittag und Nachmittag über zog ich über die nahegelegene Brücke zunächst zum Thorjansschrein, von wo aus ich die Umgebung überblickte. Auf dem Weg dorthin fiel mir eine kleine Höhle auf, in der ich behauenen Stein entdeckte, aber nicht weiter erkundete. Ich folgte dem Hang nach Norden, wobei ich zwei kleine Wasserläufe überquerte und ein Feld aus Ruinen erblickte. Auf einem größeren Felsen fand ich eine Art Monument, dahinter eine kleinere natürliche Höhle. Südlich des Monuments entdeckte ich von oben einen kleinen See, den ich mir notierte. Nördlich des Monuments wurde der Hang steiler und wandelte sich in Steilklippen, so daß ich mich entscheiden musste ob ich oben oder unten entlang gehen sollte. Da ich zu diesem Zeitpunkt nur schlechtes über die Affen in der Umgebung gehört hatte, wählte ich den höher gelegenen Weg und versuchte mich möglichst ruhig zu verhalten. Ich folgte einem kleineren Wasserlauf, der mich zu einem Tal voll Lavendelpflanzen und dem Schrein der Stephanie führte. Dort in der Nähe entdeckte ich einen Riß im Boden, durch den ich die Affen unter mir hörte, aber Deyn sei Dank bemerkten sie mich nicht. Vom Schrein aus zog ich zunächst nach Norden weiter, fand mich dann aber in einem Hohlweg wieder, über den eine Brücke verlief. Also kehrte ich um und erstieg die Hänge nach Westen, bis ich die Klippenkannte vor mir sah. Dort stieß ich auf einen weiteren Riß, der wie ein Schlot nach unten führte, und auch hier hörte ich Affen, aber ungleich lauter als zuvor. Leise schlich ich von dannen, der Kante der Klippen folgend. Ein wenig weiter im Norden machte ich dann einen grausigen Fund. Drei bleiche Schädel und einige Knochen entdeckte ich auf einem Klippenabsatz, und sie erschienen mir menschlich, auch wenn sie schon halb von Erde und Pflanzen verschlungen worden waren. Ich notierte mir die Stelle genausten um später für die Bergung dieser armen Seelen zu sorgen, und setzte meinen Weg nach Norden fort. Als es zu dämmern begann, erreichte ich eine alte Grundmauer neben einer Höhle, und erspähte dahinter eine Straße. Über dem Hang hinter der Straße ragte eine Schutzhütte auf, die ich für die Nacht bezog. Sie war überraschend geräumig.
Der 30. Lenzmond begrüßte mich mit lautem Vogelgeschrei, daß ich später Papageien zuordnete. Als ich mich im Morgenlicht bei der Hütte umsah, erkannte nördlich davon und viele Dutzend Schritt unter mir den Sandstrand wieder und die kleine Insel, auf der ich zuvor übernachtet hatte. Als ich wieder zur Straße vom Vorabend hinabstieg, stieß ich auf einige Beeren, eine willkommene Abwechslung vom kargen Reiseproviant. Die Straße führte knapp nach den Ruinen über eine hölzerne Rampe, die in den Fels gebaut worden war, steil bergab bis zum Strand hinunter. Westlich unterhalb der Rampe erspähte ich einen kleinen See. Da es jedoch die Gipfel zu erkunden galt, wandte ich mich nach Osten und folgte der Straße. Nach einem kurzen Marsch befand ich mich auf der Brücke wieder, die ich am Vortag gesehen hatte, doch diesmal stand ich oben und blickte auf den Hohlweg hinab. Die Straße wurde im Norden von einem Höhenrücken begleitet, während sich das Land gen Süden bis auf einige Hügel zu eben jenem Tal absenkte, durch das viele Wasserläufe sich vereinten und zum Schrein der Stephanie flossen. An einer starken Kehre entdeckte ich einen gewaltigen Baum an der Straße, eine Landmarke die meines Erachtens einen Platz auf der Karte verdient hatte. Danach verlief die Straße langsam bergab, bis ich auf die Kreuzung stieß, an der sich der Weg Richtung Kloster oder aber Mamoria gabelte. Ich wählte den Weg zum Kloster. Von dort hatte ich einen guten Blick auf die Erhebungen im Süden, und zeichnete bis mich das Sonnenlicht verließ und ich für die Nacht im Kloster Unterschlupf suchte.
Den 31. Lenzmond über folgte ich dem Höhenrücken östlich des Klosters, bis ich tief unter mir den verlassenen Anleger im äußersten Nordosten der Insel sah. Von dort an bog sich der Höhenzug nach Süden. Dort oben gab es wenig zu sehen außer einigen Ruinen, die ich auf halber Strecke auf einem leicht tiefergelegenen Plateau gen Osten fand. Von oben betrachtete ich den kleinen Bach, der Tamruks Mühle antrieb, überquerte eine Senke auf dem Höhenrücken und stand dann auf der letzten Erhebung, bevor die Klippen knapp vor dem Anleger von Mamoria endeten. Ich genoß den weiten Ausblick, der mich in der Ferne den riesigen Baum und die Baustelle des Drygoregeländes erkennen ließ, westlich davon das Schiff von Herrn Cervino und die verlassene Feste. Am Nachmittag machte ich mich auf den anstrengenden Rückweg und nächtigte erneut im Kloster.
Der nächste Morgen, am 1. Grasmond, war grau und düster, und ein starker Wind kündete von Regen. Widerwillig gestand ich mir ein bei diesem Wetter nichts in den Bergen verloren zu haben, die ich eigentlich hatte erkunden wollen, und folgte der Straße nach Süden. Unterwegs entdeckte ich nördlich von Mamoria einige Höhlen, die ich aber aufgrund des Regens und des glitschigen Untergrundes nicht erkundet habe. Mit Besorgnis verzeichnete ich zudem eine Stelle, an der ich Anzeichen für eine Ausbreitung des Pilzwaldes fand, der sich zwischen dem Thorjansschrein und Mamoria befindet. Danach schaute ich auf Tamruk's Hof vorbei, traf ihn allerdings nicht an. So verzeichnete ich seine Gebäude, die Pallisade und eine kleine Höhle, und wanderte dann zum Revansschrein, wo ich mich etwas aufwärmte und trocknete. Den Nachmittag über notierte ich mir einige Seen, Wasserläufe und den Verlauf der Wege in der Umgebung von Mamoria, wo ich dann die Nacht verbrachte.
Am nächsten Tag, dem 2. Grasmond, war es aufgeklart, doch Boden und Pflanzen waren noch feucht und voller Pfützen. So folgte ich der Straße nach Westen bis ich die großen Pilze nördlich von mir aufragen sah, und überquerte dort den Bach, um es näher in Augenschein zu nehmen. Als ich jedoch eine größere Höhle hinter den Pilzen sah, gedachte ich einiger Geschichten von Herrn Felljäger und hielt mich lieber fern. Als ich gerade umdrehte, fiel mein Blick auf ein Buch am Boden, das angesichts des gestrigen Wetters in einem guten Zustand war. Ich nahm es an mich und setzte den Weg fort. Am frühen Nachmittag erreichte ich wieder die Geborgenheit der Stadt.
Durch die turbulenten Ereignisse der nächsten Zeit zog sich die Aufarbeitung der Skizzen und Notizen etwas hin, nicht zuletzt weil ich eine schwere Verletzung bei einer weiteren Expedition davon trug. Aber nun ist es vollbracht, meine Karte ist fertig.